Die ökumenische Debatte zur Globalisierung in Asien

 

Kein Kontinent weist so große ökonomische und soziale Unterschiede auf wie Asien. Zwischen dem bitterarmen Burma und den reichen Staaten wie Japan und Singapur scheint es nicht nur ökonomisch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu geben. Und dies spiegelt sich auch in der kirchlichen Vielfalt wieder, wobei hinzukommt, dass die Christen in fast allen Ländern Minderheiten sind, die auch aus der Begegnung mit den jeweiligen Mehrheitsreligionen geprägt werden. Deshalb kann es nicht überraschen, dass es auch theologisch in Asien eine große Vielfalt gibt, und im Rahmen dieses Kapitels kann es nur um einen Ausschnitt gehen, der an der Frage orientiert ist, wie die Theologien in Asien sich mit dem Prozess der Globalisierung auseinandersetzen.

 

Mehr noch als für die Christinnen und Christen in anderen Teilen der Welt ist religiöse Vielfalt eine Selbstverständlichkeit in Asien. Wenn der eine Nachbar Buddhist und der andere Hindu ist, gehört das interreligiöse Gespräch zum Alltag. Für fundamentalistische christliche Sätze wie den, dass alle Heiden in die Hölle kommen, ist dann meist kein Platz, weder im Gespräch noch im eigenen Denken und Glauben. Von Asien lässt sich viel lernen, wenn es darum geht, in einer multireligiösen Gesellschaft und einer multireligiösen Welt zu leben – auch von den negativen Erfahrungen, wie sie sich gegenwärtig zum Beispiel zwischen Hindus und Muslimen in Indien zeigen.

 

Das Christentum ist Menschen anderen Glaubens dann ein Ärgernis, wenn ein alleiniger Anspruch auf die Wahrheit erhoben wird. Beim Dritten Kongress Asiatischer Theologen im August 2001 in Yogyakarta in Indonesien stellte der indische Theologe Jacob Kavunkal fest, der Anspruch auf Einzigartigkeit sei es, um dessen willen „unsere Mitinder es lieben, uns zu hassen“.[1]

 

Und er fragte, ob es die Sache des christlichen Glaubens sei, Einzigartigkeit und Überlegenheit zu beanspruchen und den Glauben der anderen nach den eigenen Maßstäben zu bewerten. „Angesichts der durch die Globalisierung verursachten Uniformität und Ausgrenzung“ setzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz sich dafür ein, gemeinsam mit Menschen anderer Religionen ein neues Verständnis der umfassenden Gemeinschaft zu entwickeln. Ziel sei es, „Gerechtigkeit für alle Menschen einzufordern und neue Formen der Inklusion zu praktizieren“.[2]

 

Das Miteinander der Religionen und die Globalisierung

 

Wie bedeutsam der asiatische Beitrag ist, wenn es um das Miteinander der Religionen in der Welt geht, zeigte sich beim „Colloquium 2000 – Glaubensgemeinschaften und soziale Bewegungen im Streit mit der Globalisierung“ in Hofgeismar, wo es vor allem Asiatinnen und Asiaten unterschiedlichen Glaubens waren, die vermittelten, wie eine gemeinsame globale Verantwortung der Religionen heute gestaltet werden kann. In Referaten wurde von buddhistischem, hinduistischem, muslimischem und christlichem Verständnis her entwickelt, warum von religiösen Positionen aus die vorherrschende Globalisierung kritisiert werden muss und wie in den einzelnen Religionsgemeinschaften versucht wird, Alternativen zu entwickeln und zu leben.[3]

 

Die thailändische Buddhistin Wallapa Kuntiranont stellte in ihrem Referat dar, wie gläubige Buddhistinnen und Buddhisten nach Alternativen zur materialistischen Gesellschaft suchen, die sich seit den 80er und 90er Jahren mit rapider Geschwindigkeit in Thailand ausbreitet. Ein Weg sind kleine religiöse Gemeinschaften, die demonstrieren, dass Leben mehr ist als die Anhäufung materieller Güter: „Viele Basisinitiativen schaffen Alternativen zum vorherrschenden Entwicklungsweg. Mönche bemühen sich, die Gemeinschaften zusammenzuhalten. Das Nachdenken über diese Erfahrungen kann nicht nur andere lokale Gemeinschaften inspirieren, sondern diese Gruppen haben auch der internationalen Gemeinschaft viel zu sagen. Hier und überall in der Welt können wir Zeichen eines wachsenden Bewusstseins für eine enge Verbindung zwischen der Sorge um die Ökosysteme und dem entstehenden globalen Netzwerk in der Zivilgesellschaft erkennen ...“[4]

 

Wenn man wirklich zu einer Zusammenarbeit von Gläubigen aller Religionsgemeinschaften für eine andere Globalisierung kommen will, dann muss das Nachdenken über die ökumenische theologische Position im Verhältnis zu den anderen Religionen fortgesetzt und auf eine breitere Basis gestellt werden. Gewiss ist es möglich, auch ohne dieses Nachdenken und ohne den Dialog der Religionen ganz pragmatisch bei einzelnen Initiativen, zum Beispiel im Umweltschutz, zusammenzuarbeiten.

  

Für ein neues Verhältnis der Religionen angesichts der Globalisierung

 

Aber wenn die Überzeugung sich durchsetzt, dass Menschen aus ihrem Glauben heraus eine spirituelle Grundlage für eine andere Form des Zusammenlebens auf lokaler und globaler Ebene schaffen können, dann ist ein neues Verhältnis der Religionsgemeinschaften erforderlich. Es muss darauf beruhen, sich mehr füreinander zu interessieren, mehr voneinander zu wissen und sich auf eine gemeinsame religiöse Reise zu begeben, um zu erfahren (nicht nur Lehrbücher zu lesen), was gläubige Menschen unterschiedlicher Religionen verbindet und was sie trennt. Von den Christinnen und Christen ist gefordert, neu darüber nachzudenken, ob Gott auch in den anderen Religionen wirkt. Diese Frage und Antworten, die aus dem Leben in multireligiösen Gesellschaften erwachsen, bringen asiatische Theologinnen und Theologen in die weltweite Ökumene ein.

 

Das ist seit Jahrzehnten so, und oft sind diese Stimmen in den Kirchen des Westens zwar gehört, aber doch eher als Sonderproblem der asiatischen Christenheit verstanden worden. In einer Welt, in der praktisch alle Gesellschaften sich durch eine immer größere religiöse Vielfalt auszeichnen, werden die asiatischen Erfahrungen aber immer wichtiger, angesichts vieler Spannungen sogar überlebenswichtig. Dies gilt um so mehr, als die rasche Industrialisierung Asiens dazu geführt hat, dass eine wachsende Zahl theologischer Beiträge nicht nur abstrakt über das Verhältnis der Religionen reflektiert, sondern dieses Verhältnis im Kontext sozialer und ökonomischer Umbruchprozesse wahrnimmt und nach Antworten sucht, wie Religionen zu mehr Gemeinschaft statt zu mehr Konflikten in den einzelnen Gesellschaften und global beitragen. Das erwähnte „Colloquium 2000“ war ein Beispiel dafür.[5]

 

In Asien sind auch die Kirchen längst Teil des weltweiten Austausches von Informationen, Geldern und Ideen geworden und ganz selbstverständlich mit einer Homepage im Internet vertreten. Aber gerade die Einbeziehung in den weltweiten Dialog führt auch in den asiatischen Kirchen zu einem Ende des ungebremsten Zukunftsoptimismus. Angesichts einer rasch wachsenden Wirtschaft nehmen die – meist konservativen – asiatischen Kirchenführer wahr, wie die alte Welt zerbricht und ein hemmungsloser Materialismus Triumphe feiert. Die Auswüchse des Kapitalismus lassen sich sowohl aus einer progressiven als auch einer die Traditionen bewahrenden Position kritisieren.[6]

 

Besonders sichtbar wird, wie in dieser Situation schon bestehende Ungerechtigkeiten noch verschärft werden. So heißt es in der Schlusserklärung des schon erwähnten Dritten Kongresses Asiatischer Theologen in Yogyakarta/Indonesien: „Der Globalisierungsprozess und die Marktwirtschaft drängen immer mehr Menschen an den Rand, besonders die, die zu den unteren Schichten der Gesellschaft gehören ... Die Kombination von Patriarchat und Kapitalismus heute verstärkt die Ausbeutung von Natur, Frauen und von allen Schwachen und Verwundbaren als ‚der andere’.“[7]

 

Der Wirtschaftsboom in Asien in den 80er und 90er Jahren hat auch in der Theologie Spuren hinterlassen. Es fanden diejenigen theologischen Entwürfe zunehmend Beachtung, die Wohlstand, ja Reichtum mit der Botschaft des Evangeliums in Einklang bringen wollten und das soziale Verantwortungsbewusstsein in den Hintergrund stellten. Das gilt besonders für die Theologien in den damals prosperierenden ostasiatischen Staaten wie Korea und Hongkong. Asiatische Befreiungstheologien wie die Minjung-Theologie in Korea verloren Unterstützung, weil die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich so veränderten, dass die Hoffnung entstand, die sozialen Probleme durch einen allgemeinen Wohlstand zu vermindern, wenn nicht weitgehend zu beseitigen.

 

Kritik am internationalen Wirtschaftssystem

 

Mittlerweile und vor allem seit Ausbruch der Wirtschaftskrise wuchs die Kritik an einem internationalen Wirtschaftssystem, dessen Prinzipien und Ergebnisse nicht in Einklang mit den biblischen Verheißungen gebracht werden können.[8] So stellte ein asiatisches katholisches Laientreffen in Manila/Philippinen im März 1998 in einer Erklärung fest: „Die sich verschlimmernde Wirtschaftskrise, besonders in Ländern wie Thailand, Indonesien und (Süd)Korea unter der Herrschaft des Internationalen Währungsfonds hat einen hohen Tribut im Sinne sozialer Auswirkung für die Armen und Ausgegrenzten gefordert. Diese Opfer leiden an einer Krise, die nicht von ihnen verursacht ist und in der sie keine Rolle zu spielen hatten ... Die Globalisierung verstärkt noch den Druck auf die Arbeiter, die vor ungerechten Arbeitsgesetzen, höchst unangemessenen Löhnen und oft gefährlichen Arbeitsbedingungen nur wenig oder gar keinen Schutz haben.“[9]

 

Und die Katholische Bewegung für Bildung und Kultur stellte bei einer Konferenz zu den Folgen der Asienkrise im August 1998 fest: „Globalisierung ist nicht nur eine Herausforderung für die Ethik, sondern auch für die Theologie. Die gegenwärtige Asienkrise ist für uns ein Augenblick der Umkehr, der Wahrheit und der Gnade (Kairos) ... Um diesen Kairos zu leben, brauchen wir eine neue gesellschaftliche und persönliche Spiritualität.“[10]

 

Zu den bekanntesten kirchlichen Globalisierungsgegnern gehört der katholische Befreiungstheologe Tissa Balasuriya. Seine Heimat Sri Lanka ist im Rahmen der Globalisierung vor allem als Land mit billigen Industriearbeiterinnen und -arbeitern gefragt und konkurriert auf diesem Gebiet mit Ländern wie Bangladesch und China. Mit anderen Worten: Sri Lanka ist eher ein „Hinterhof“ des Globalisierungsprozesses, und das schärft das Bewusstsein für seine Schattenseiten. In seinem Buch „Globalization and Human Solidarity“ unterzieht Tissa Balasuriya die Globalisierung einer radikalen Kritik. Er stellt fest, dass es „einen fundamentalen Widerspruch zwischen den grundlegenden Lehren Jesu (und den Grundwerten anderer Weltreligionen) und den Werten gibt, die durch den kapitalistischen Globalisierungsprozess gefördert werden.“[11]

 

Deshalb müssten Christinnen, Christen und die Gläubigen anderer Religionsgemeinschaften eine Gegenbewegung gründen, die gerechte Beziehungen zwischen den Menschen und die Sorge für die Erde zum Ziel haben müsste. Für Christinnen und Christen, so der srilankische Theologe, ist das Kreuz der Weg, den Jesus gezeigt hat zur Befreiung und Rettung vor der Glorifizierung des Mammon.[12] „Angesichts der wachsenden Ungerechtigkeiten auf der Welt können die Religionen das Licht sein, das uns allen sichtbar macht, dass die falschen Werte der Globalisierung den Menschen keine Zufriedenheit und keinen Frieden bringen und auch keine dauerhafte Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme ermöglichen.“[13]

 

Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung

 

Solche Einsichten haben die asiatischen Kirchen dazu veranlasst, sich intensiver mit ökonomischen Fragen und Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung zu beschäftigen.[14] Der grenzenlose Optimismus des ökonomischen Aufstiegs, der vor der Asienkrise auch viele Kirchen beherrschte, ist gewichen und es wächst auch die Einsicht, welchen kulturellen Schaden die Fixierung auf einen globalen Markt verursacht.[15] Und das gilt selbst in einer so reichen Stadt wie Hongkong, stellte doch der Generalsekretär des Christenrates, Pfarrer Eric So, im Sommer 2000 auf der ersten Seite der Zeitschrift seiner Organisation fest: „Globalisierung ist ein Trend, ein Prozess der sozialen Entwicklung in der modernen Welt, und ich denke, dass niemand ihn wirklich kontrollieren kann. Die Frage lautet: Welchen Wert haben menschliche Wesen in diesem Prozess der Globalisierung? Wir sollten die Investoren fragen, ob der Mann oder die Frau ein Subjekt ist oder ein Werkzeug bei ihren Investitionen. Wir sollten die Regierungsvertreter fragen, was bei ihren Entscheidungen zur Sozialpolitik wichtiger ist – die menschliche Würde oder die Effektivität.“[16]

 

Gewiss hatten die Kirchen in Hongkong immer große Sozialprogramme für die Armen, aber diese wurden abseits des kirchlichen Alltags von kirchlichen Managern verwaltet. Auf die Theologie der großen Kirchen hatte der Alltag der Armut und der sozialen Ausgrenzung kaum einen Einfluss. Die Asienkrise gibt nun den Theologinnen und Theologen Auftrieb, für die die Option für die Armen mehr als ein Lippenbekenntnis ist.

 

Die katholische Bischofssynode Asiens hat sich auf ihrer Sonderversammlung 1998 mit den kulturellen und religiösen Folgen der ökonomischen Globalisierung beschäftigt: „Wir werden überflutet von materialistischen, konsumgeprägten und hedonistischen Haltungen, von wildem Konkurrenzdenken, von Gier und Selbstsucht auf vielen Gebieten. Viele sind gegenüber dem Willen Gottes völlig gleichgültig geworden; oder aber sie gehen zum anderen Extrem über und suchen Tugend ausschließlich in Gebet, Liturgie und Wallfahrten, während sie sich von wichtigen und lebenswerten Tätigkeiten in der Welt zurückziehen. Andere werden selbstzufrieden und kümmern sich wenig um ihren Nächsten, oder sie begnügen sich damit, geschlossene und exklusive Gruppen zu bilden.“[17]

 

Die katholischen Bischöfe Asiens sind sich offenkundig deutlicher als viele Christinnen und Christen in Europa bewusst, wie die Globalisierung sich nicht nur ökonomisch und sozial auswirkt, sondern direkte Auswirkungen auf das Christ- und Kirchesein hat. Die Einmischung in die Globalisierungsprozesse ist also um der Kirche und ihrer Botschaft willen geboten. Die Bischöfe verweisen darauf, dass Haltungen des „Überlebens der Tüchtigsten“ und „der Mensch ist des Menschen Wolf“ sich nicht nur auf das politische und ökonomische, sondern auch das religiöse Leben auswirken.[18] Gemeinsam mit Menschen anderen Glaubens gelte es, eine „religiöse Kultur“ an die Stelle einer „Kultur des Wettbewerbs und der Gewalt“ zu setzen.[19]

 

Das globalisierungskritische Engagement asiatischer Christinnen

 

Rose Wu, eine führende Theologin der Stadt und Leiterin des Christlichen Instituts von Hongkong, stellte die neuen Aufgaben der Kirchen in der „International Review of Mission“ 1998 so dar: „Wenn wir grundlegende Ursachen der Armut angehen wollen, müssen wir uns von der Art und Weise abwenden, in der wir bisher unsere Missionsaufgaben wahrgenommen haben. Wir müssen dann Advocacy und Solidarität in das Zentrum der Missionsprogramme der Kirchen stellen ... In der Eucharistie, im Brechen des Brotes und im Teilen des Weines, teilen wir das Leben Christi miteinander und mit der Welt, damit aus seinem Tod neues Leben erwächst. So muss sich auch die Kirche entscheiden, ob sie die Eucharistie leben und in der Welt bezeugen will, ob sie den Altar in die Welt hineintragen will.“[20] Rose Wu gehört zu dem inzwischen recht großen Kreis asiatischer Theologinnen, die sich kritisch mit den sozialen Verhältnissen in Asien und der vorherrschenden Theologie auseinandersetzen. Dabei werden auch neue Wege gefunden, Theologie zu betreiben, wie Katja Heidemanns vom Missionswissenschaftlichen Institut in Aachen in einem Beitrag über asiatische Theologinnen festgestellt hat: „Wer in den letzen Jahren die Arbeit von Theologinnen in den Ländern des Südens verfolgt hat, konnte eine gewisse Schwerpunktverlagerung von einer befreienden Theologie zu einer befreienden Spiritualität feststellen, die sich der Forderung nach einer rationalen und systematischen Arbeit widersetzt und in Liedern, Tänzen und Symbolen, im Leben und in Beziehungen Ausdruck verschafft.“[21]

 

Dies ist kein Abschied vom politischen und sozialen Engagement, sondern es werden neue (und zugleich uralte) Formen gesucht, um den eigenen Glauben auszudrücken und in der Gesellschaft zu leben. Katja Heidemanns schreibt über die asiatischen Theologinnen: „Sie wollen tragfähige Antworten auf die Auswirkungen der fortschreitenden Globalisierungsprozesse formulieren und Lebenswege beschreiben, die Frauen darin unterstützen, ihre innere Kraft in der Beziehung zur menschlichen Gemeinschaft, zur Natur und zur göttlichen Wirklichkeit zu finden ... (die) Sehnsucht, aus der Enge der Not zu einer Vision der Weite zu gelangen und eine Spiritualität zu entwickeln, die Leben fördert, in dem sie den ganzen Kosmos mit einbezieht.“[22]

 

Am Ende ihres Beitrags schreibt Katja Heidemanns: „Durch die Wahrnehmung der Globalisierung als einer spirituellen Herausforderung kann sich im Lichte der Erfahrungen der anderen eine veränderte Sicht auf das eigene Leben und den eigenen Glauben eröffnen. Die asiatischen Theologinnen und Ordensfrauen, die sich weigern, sich als wehrlose Opfer von Globalisierungszwängen zu sehen und Normen und Lehren zu akzeptieren, durch die Frauen daran gehindert werden, ihre eigenen Erfahrungen als wahrhaftig zum Ausdruck zu bringen, setzen Zeichen der Hoffnung. Sie können den Weg weisen, in und gegen die allgegenwärtige Zerstörung die Auferstehung des Lebens zu sehen, wo sie sich ereignet.“[23]

 

Dass katholische Theologinnen und Ordensfrauen auf eine vertiefte Spiritualität setzen, um den Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und in den Beziehungen der Geschlechter entgegenzutreten, zeigte sich auch bei einem gesamtasiatischen Laientreffen in Hua Hin/Thailand im Oktober 2001 zum Thema „Frauen“. Die Konferenz trat für eine feministische Vision und Spiritualität ein, um diesen Ungerechtigkeiten entgegenzutreten und das Selbstwertgefühl und die Würde der Frauen zu fördern. Als ein wichtiges Instrument, um Theologie zu betreiben und zugänglich zu machen, wurde „story telling“ identifiziert. Wie in dem Beitrag von Katja Heidemanns wurde außerdem die Einbeziehung von Symbolen, Theater und Dichtung in das Studium und die Lehre der Theologie gefordert.[24]

 

Eines der wichtigsten Publikationsorgane asiatischer Theologinnen ist die Zeitschrift „In God’s Image“, die seit mehr als 20 Jahren erscheint und sich von einem kleinen achtseitigen Newsletter zu einer respektablen Zeitschrift mit vielfältigen Themen und Beiträgen entwickelt hat. „In God’s Image“ bietet Theologinnen und theologisch engagierten Laiinnen ein Forum des Austausches über Frauenanliegen und Frauentheologie in Asien.

 

Die Ausgabe 1/2000 hatte den Schwerpunkt „Women Challenging Globalisation and Celebrating the Jubilee“. Im einführenden Beitrag setzt sich die philippinische Theologin Mary John Mananzan[25] mit der biblischen Tradition des Jubeljahres und seiner Bedeutung im Zeitalter der Globalisierung auseinander. Mit Bezug auf Bibelstellen im Alten und im Neuen Testament stellt sie fest: „Das Jubeljahr ist ein bedeutsames Beispiel für das Konzept des umfassenden Heils der jüdisch-christlichen Tradition, die unser Erbe ist.“[26] Sie setzt sich in dem Beitrag anschließend ausführlich mit der Globalisierung auseinander, um dann an drei Bereichen sichtbar zu machen, wie sie sich auf die asiatischen Gesellschaften und besonders auf die Frauen auswirkt: Land und Ökologie, moderne Sklaverei und Schuldenkrise. Die biblische Perspektive und die Analyse der Verhältnisse aus dem Blickwinkel der Armen führen bei Mary John Mananzan zu keiner „ausgewogenen“ Darstellung der Auswirkungen der Globalisierung, sondern zu einer massiven, fundiert dargestellten Kritik. Zeichen der Hoffnung entdeckt sie darin, wie Menschen in Asien auf diese Krise reagieren, indem sie protestieren, Bewusstseinsbildungsprogramme initiieren und nach Alternativen suchen.

 

Gerade auf den Philippinen gibt es hierfür zahlreiche Beispiele, wobei Mary John Mananzan sich auf Fraueninitiativen wie das Frauennetzwerk GABRIELA konzentriert. Auch die Arbeit der Ecumenical Association of Third World Theologians (EATWOT), zu deren prominentesten Mitgliedern sie gehört, wird vorgestellt. Pointiert sind ihre Schlussfolgerungen am Ende des Beitrags: „Die Globalisierung verführt weiterhin Regierungen der Entwicklungsländer dazu, sich in ihren Einflussbereich zu begeben. Inzwischen leidet die große Mehrheit der Menschen in den entwickelten und den Entwicklungsländern unter den negativen Effekten der Globalisierung. Dies kann eine sehr viel festere Basis für die internationale Solidarität bieten, weil die Menschen in der Ersten Welt nicht länger nur Mitleid mit der Misere der Menschen in der Dritten Welt zeigen, sondern auf bestimmte Weise auch die negativen Effekte der Globalisierung erleben, wenn auch nicht im gleichen Maße. Es gibt keine fertige Blaupause für eine Alternative zur Globalisierung. Die unterschiedlichen Versuche, unterschiedlichen Formen des Widerstandes und Initiativen für alternative Systeme ... müssen ermutigt, an andere weitergegeben und in gewisser Weise auch koordiniert werden. Aus diesen radikalen Energien könnte eine gemeinsame Energie zu etwas qualitativ Neuem führen und eine grundlegende soziale Transformation ermöglichen.“[27]

 

Dieser Weg von der biblischen Verheißung über eine Analyse der sozialen Verhältnisse und eine Darstellung von Widerstandsformen hin zu Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung ist für viele Christinnen und Christen im Süden der Welt plausibel. Sie erleben sich als Opfer des Globalisierungsprozesses, und das gilt besonders für die Frauen. Bei der Beschäftigung mit theologischen Beiträgen zur Globalisierung aus dem Süden der Welt fällt auf, dass sie parteiisch sind, Partei ergreifend für die Opfer dieser Prozesse und dass sie sich dabei in der Tradition Jesu sehen, der das globale System seiner Zeit aus der Perspektive der Armen betrachtete und schonungslos bloßstellte. Beunruhigend ist, dass diese klare theologische und ethische Position der Mitchristinnen und -christen im Süden der Welt bei uns kaum wahrgenommen wird. Ein Beispiel dafür ist die EKD-Synode zur Globalisierungsthematik Ende 2001, auf die ich noch eingehen werde. Mary John Mananzan ist mit ihrer Position im Kontext der Theologien im Süden der Welt nicht besonders radikal, sie artikuliert nur besonders pointiert das, was andere ebenfalls denken und zum Teil in noch deutlicherer Sprache formulieren.

 

Ich erinnere mich an ein Gespräch, dass ich vor einigen Jahren mit evangelikalen Christen im Oxford Centre for Mission Studies geführt habe, und wo ein großer Zorn darüber sichtbar wurde, wie Spekulanten an den internationalen Finanzmärkten ganz entscheidend zur sogenannten Asienkrise beigetragen haben, die Millionen Menschen in Not und Elend gestürzt hat.

 

„Eine radikale Umkehr“

 

Spannend ist es, wie asiatische Christinnen und Christen versuchen, traditionelle Formen des Protestes und Widerstandes ihrer Kulturen mit dem von Jesus vorgelebten Weg des friedlichen Widerstandes zu verbinden. Ein Beispiel dafür ist eine Erklärung der katholischen Bischöfe zur Frage nach einer christlichen Antwort auf die Gewalt in Südasien: „... dass die richtige Antwort auf Gewalt weder in weiterer Gewalt noch in bloßer passiver Hinnahme besteht. Die christliche Antwort wird manchmal ‚heftige Aktionen’ gewaltlosen Protestes verlangen, wie Fasten und Gebets-Vigilien, Hunger- und Sitzstreiks, Protestmärsche und Kundgebungen. Wenn sie erfolgreich sein sollen, verlangen Aktionen energisches Eintreten für die Sache, sorgfältige Vorbereitung und Organisation, starke Verpflichtung, Selbstdisziplin und eine Bereitschaft, für seine Prinzipien zu leiden.“[28]

 

Es bleibt die Aufgabe der Kirchen, vorzuleben, wie eine andere Globalisierung, eine andere Zusammenarbeit über alle konfessionellen, nationalen und kulturellen Unterschiede hinweg aussehen kann. Die „Asiatische Bewegung für die christliche Einheit“, die von der Föderation katholischer Bischofskonferenzen und der Christlichen Konferenz von Asien gegründet wurde, hat bei einem Treffen in Chiangmai/Thailand Anfang 2001 die ökumenische Vision so beschrieben: „Um die Vision der Einheit zu verwirklichen, brauchen unsere Kirchen und alle Christen eine radikale Umkehr, eine Umkehr des Herzens. Es erfordert einen radikalen Wandel in unserer Denkweise, in unserem Handeln und in der Lebensweise, besonders in Beziehung zu anderen Kirchen. Sie lehnt jede Art der Selbstgenügsamkeit und des Triumphalismus ab und fordert uns auf, die positiven Werte anderer christlicher Traditionen zu sehen. Dieser Wandel des Herzens muss verstärkt werden durch ein Leben des gemeinsamen Gebetes und Gottesdienstes ... Unser gemeinsamer Glaube und unsere Taufe zwingen uns, in einer Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, obwohl es immer noch Unterschiede zwischen den Kirchen geben mag. Schließlich soll das ökumenische Ziel nicht eine uniforme Kirche schaffen, sondern eine Gemeinschaft von Kirchen, die ihre jeweiligen Verschiedenheiten und ihre Identität behalten.“[29]

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Gott und die Götter der Globalisierung - Die Bibel als Orientierung für eine andere Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Zitiert nach: Hyondok Choe/Annette Meuthrath: „Mit den Anderen leben“, in: Forum Weltkirche – Katholische Mission, 2/2002, S. 21

[2] Ebenda, S. 22

[3] Ulrich Duchrow/Frank Kürschner-Pelkmann: Colloquium 2000, Beiheft zur Jungen Kirche 9/2000

[4] Ebenda, S. 23f.

[5] Zu erwähnen ist hier vor allem der Beitrag von Bas Wielenga, Professor am Tamilnadu Theological Seminary, zum Thema „Unterwegs zur globalen Solidarität“, Colloquium 2000, a. a. O., S. 50ff.

[6] Diese Kritik findet zum Beispiel auch in den japanischen Kirchen statt. So stellt der z. Zt. in Hermannsburg tätige Theologe Masanobu Hirata die Dynamik der Globalisierung so dar: „Wer in seiner Branche darauf verzichtet und sich in Produktion und Ertrag nicht mit den internationalen Spitzenreitern misst, hat seine Zukunft schon verloren. Die Realität ist äußerst hart ... Unter diesen Umständen wird die Natur, die ökologische Perspektive, kaum berücksichtigt, und vor allem werden die humanitären Arbeitsbedingungen – und die haben mit der Würde des Menschen zu tun – schlichtweg vergessen. Doch damit möchte ich die Globalisierung nicht einseitig teuflisch darstellen, das wäre nicht fair. Vielmehr möchte ich darauf aufmerksam machen, dass auch wir, die vielen Millionen kleinen Geldanleger, die ständig auf der Suche sind nach dem höchsten Profit, selbst den Takt schlagen für die Allokation der Produktressourcen und damit auch an diesem globalen Ausbeutungssystem beteiligt sind.“ Zitiert nach: EMS-Informationsbrief Ostasien, 5/1997, S. 30f.

[7] Weltkirche, 6/2001, S. 147 und 149

[8] Selbstkritisch stellte 1998 die katholische Bischofskonferenz Thailands fest. „In einem kritischen Rückblick auf unser Leben müssen wir uns fragen, ob wir vom Geld besessen sind und ihm wie einem Gott huldigen. Wenn das der Fall ist, dann fordern wir euch auf, euer Leben zu erneuern. Wir müssen unser Leben in Einfachheit, Mitleiden und gegenseitiger Hilfe führen, was der Wille Gottes ist und in Einklang steht mit seinem Wort.“ Zitiert nach: Weltkirche, 6/98, S. 183

[9] Zitiert nach: Weltkirche, 3/1998, S. 80 und 83

[10] Zitiert nach: Weltkirche, 8/1998, S. 239

[11] Tissa Balasuriya: Globalization and Human Solidarity, Thiruvalla (Indien) 2000, S. 132

[12] Vgl. ebenda, S. 70

[13] Ebenda, S. 89

[14] In der bereits zitierten Erklärung der asiatischen Bewegung für Bildung und Kultur heißt es zu diesen Alternativen: “Angesichts der ungeheuren Herausforderung der Globalisierung wurden ständig ernsthafte Bemühungen unternommen, um das „TNA“( there is no alternative/es gibt keine Alternative)-Syndrom zu überwinden und nach alternativen Möglichkeiten des Zusammenlebens zu suchen. Das Auftauchen von Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft – Gemeinschaften, Volksorganisationen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) – sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene hat Keime gesät für eine auf Beteiligung ausgerichtete Demokratie und für Solidarität unter den Menschen.“ (Weltkirche, 3/1998, S. 81)

[15] So stellte die Föderation Katholischer Bischofskonferenzen in einer Schlusserklärung ihrer 7. Vollversammlung im Januar in Thailand fest: „Wir sind uns darüber klar, dass ‚kulturelle Globalisierung’ durch die Übersättigung der Massenmedien die asiatischen Gesellschaften rasch in eine globale Verbraucherkultur hineinzieht, die sowohl säkularisiert als auch materialistisch ist und traditionelle soziale, kulturelle und religiöse Werte, die Asien getragen haben, unterminiert oder ihre Aushöhlung verursacht. Eine solche Entwicklung ist eine große Bedrohung für Asiens Kulturen und Religionen, die mit unberechenbarem Schaden endet. Deshalb ist die Globalisierung ein ethisches und moralisches Problem, das zu ignorieren wir uns als Kirche nicht leisten können.“ Zitiert nach: Weltkirche 1/2000, S. 17

[16] Eric So: Globalization and Hong Kong People, in: News and Views, Hongkong, Sommer 2000, S. 1; im Oktober 2001 wurde in Hongkong ein Manifest von neun christlichen Organisationen zur Globalisierung veröffentlicht, in dem die sozialen Auswirkungen der Globalisierung kritisch beleuchtet werden, u. a. die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Rolle internationaler Konzerne (vgl. News and Views, Winter 2001, S. 6f.).

[17] Weltkirche, 4/98, S. 120

[18] Ebenda

[19] Ebenda

[20] Rose Wu: Standing with the poor or with the powerful?, in: International Review of Mission, April 1998, S. 218f.

[21] Katja Heidemanns: Globalisierung als spirituelle Herausforderung?, Antworten aus der Sicht asiatischer Theologinnen, in: Forum Weltkirche, 1/2000, S. 25

[22] Ebenda, S. 25f.

[23] Ebenda, S. 27.

[24] Vgl. Forum Weltkirche – Katholische Mission, 2/2002, S. 7f.

[25] Ein Porträt der Theologin ist in der Ausgabe 4/2001 der Zeitschrift Forum Weltkirche

– Katholische Mission (S. 28ff.) erschienen.

[26] Mary John Mananzan: Jubilee in the Wake of Globalisation – from an Asian Women’s perspective, in: In God’s image, 1/2000, S. 2

[27] Ebenda, S. 13

[28] Weltkirche, 8/1996, S. 243

[29] Weltkirche, 1/2001, S. 19