Dessau-Wörlitzer Gartenreich

 

Über 17 Brücken können die Besucherinnen und Besucher gehen, um die Wörlitzer Gartenanlagen zu entdecken. Jede der Brücken ist in einem anderen Stil erbaut, manche sind Bauwerken in anderen Ländern der Welt nachempfunden. Das ist keine Laune des Erbauers des Parks, sondern Teil eines pädagogischen Konzepts. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) gehörte zu den Verfechtern der Aufklärung und der Volksbildung. „Unser Fürst“, wie ihn manche Führerinnen und Führer durch Schlösser und Parks noch heute nennen, regierte nur ein kleines Ländchen, aber das mit viel Umsicht und Erfolg.

 

Seine Regierungszeit begann 1758, mitten im Siebenjährigen Krieg. Aber während das benachbarte ­Preußen blutige Feldzüge führte, sorgte Fürst Franz für die Einführung moderner Landwirtschaftsmethoden und Schulbildung für die Landeskinder. Er wollte wirtschaftlichen Wohlstand, Bildung und eine für die Menschen förderlich gestaltete Natur miteinander verbinden und erklärte: „Ich glaubte, den äußern Menschen und seine Verhältnisse und Zustände müsse man erst verändern und bessern, dann werde der innere Mensch wohl von selbst sich regen und veredeln. Ich bin nämlich der Meinung, dass bei diesem kein Zwang angewendet werden sollte, wenn man ihn nicht um seine Freiheit bringen und seine wahre Würde verletzen will. Er muss sich selbst zu dem machen, war er sein und werden will, und dazu muss man ihm behülflich sein.“ Dazu sollte ein „Garten der Menschen“ beitragen, der das Nützliche und das Schöne miteinander verbindet. Die vielen Bauten, Parks und Reformmaßnahmen von Fürst Franz sind um so bemerkenswerter, als sein kleines Ländchen selbst nach seiner Erweiterung 1797 nur eine Fläche von 900 Quadrat­kilometern mit 53.000 Einwohnern hatte.

 

Der Fürst öffnete seine Schlösser und Parks für das Volk und gestaltete sie so, dass sie helfen konnten, die Gedanken der Aufklärung besser zu verstehen. Im Zentrum dieser Bemühungen standen die Wörlitzer Anlagen. Diese Garten- und Parklandschaft wird durch Seen geprägt, die bei Überflutungen der nahe gelegenen Elbe entstanden waren. Fürst Franz bezog die Seen und Inseln des früheren Schwemmlandes geschickt in einen englischen Garten ein. Er hatte bei vier Reisen durch Großbritannien diese Form des Landschaftsgartens kennengelernt, die die Einheit von Natur und Kunst in einer „verschönerten Landschaft“ zum Ausdruck bringen sollten. Die naturnahen Parks bildeten einen deutlichen Kontrast zu den strengen Barockgärten im französischen Stil, die damals Mode waren. Der englische Landschaftsgarten in Wörlitz war der erste seiner Art auf dem europäischen Festland und wurde zum Vorbild für viele andere Gärten. Charakteristisch war der fließende Übergang von gestalteter Gartenfläche und landwirtschaftlichen Flächen. So weideten Kühe direkt neben dem Gotischen Haus, in dem der Fürst wohnte.

 

Ludwig Trauzettel hat die Bedeutung der fürstlichen Anlagen in dem Band „Das Gartenreich Dessau-Wörlitz“ (Hamburg 2001) so hervorgehoben: „Die Wörlitzer Anlagen sind ein Gesamtkunstwerk von Gartengestaltung, Bauwerken und bildender Kunst. Durch Wörlitz gelangten der Landschaftsgarten, der Klassizismus (zwei Generationen vor Schinkel) und die Neugotik nach Kontinentaleuropa – nicht nur als Modeerscheinung, sondern als Ausdruck aufklärerisch-humanistischen Reformwillens und politischer Standpunktsuche des 18 Jahre alten Schöpfers, der ‚seinen Untertanen ein goldenes Zeitalter vorleuchtete’ (Goethe).“

 

Auf den Seen und Kanälen des Parks brachten Fähren und Gondeln die Besucher in fremde Welten, seien es nun eine Nachbildung des italienischen Vesuv, eine chinesische Pagode oder ein Südseepavillon, in dem Sammlungsstücke des berühmten Weltreisenden Georg Forster ausgestellt waren. Eine Synagoge wurde als Zeichen der religiösen Toleranz in das Park­ensemble einbezogen (im Fürstentum herrschte Glaubensfreiheit). Von Johann Wolfgang von Goethe bis Alexander von Humboldt besuchten viele geistige Größen des 18. Jahrhunderts die Gartenlandschaft in und um Wörlitz und waren tief beeindruckt. Goethe schrieb: „Hier ists jetzt unendlich schön. Mich hats gestern Abend, wie wir durch die Seen, Kanäle und Wäldchen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen … das ganze hat die reinste Lieblichkeit.“

 

„Die reizendste Wildnis, die ich kenne“

 

Zu diesem Gesamteindruck tragen bis heute Seen, Brücken und Inseln ganz entscheidend bei. Unter den 17 Brückenbauwerken sind ein einfacher geteilter Eichenstamm als frühestes historisches Hilfsmittel zur Überquerung des Wassers und eine Eisenbrücke, die 1791 im Maßstab 1:4 die zwölf Jahre vorher errichtete hochmoderne Gusseisenbrücke im englischen Coalbrookdale nachbildete, eine Brücke, die damals als Pionierleistung der Ingenieurs­kunst gepriesen wurde. Zu erwähnen ist auch eine Stufenbrücke nach chinesischem Vorbild, deren unregelmäßigen Stufen die Besucher in einem Bogen nach oben und dann wieder nach unten führen, für die Chinesen ein ­Symbol des menschlichen Lebens.

 

Eine Sonnenbrücke bildet zusammen mit ihrem Spiegelbild im Wasser die Strahlen der Sonne ab und bringt die Kultur der Inka in den Wörlitzer Park. Eine weitere Brücke hat Hans von Trotha 2001 in der „Zeit“ so beschrieben: „… eine gefährlich über Felsen schwankende Kettenbrücke, die an die Brüchigkeit des menschlichen Lebens erinnert und dem Spaziergänger das freudige Gefühl einer überstandenen Gefahr vermittelt“. Eine kleine Insel wurde dem berühmten Aufklärer Jean-Jacques Rousseau gewidmet, den Fürst Franz bei einer seiner Reisen 1775 in Paris getroffen hatte.

 

Dass Wasser nicht nur hilfreich für die Schaffung einer Gartenlandschaft ist, sondern auch eine Bedrohung darstellt, musste Fürst Franz mitten in der Bauphase 1770/71 erfahren, als die Elbe den niedrigen Deich überflutete, der den Fluss von den Gärten trennte. Der Deich wurde anschließend erhöht, und ein kompliziertes System der Wasserzufuhr und Entwässerung der Parkanlagen entwickelt. Der Elbdeich mit seinen Wachhäusern wurde harmonisch in die gestaltete Landschaft einbezogen. Hinter dem Deich entstand ein Waldpark, über den der berühmte Gartenkenner Charles Joseph von Ligne schrieb: „Es ist die reizendste Wildnis, die ich kenne.“

 

Der wichtigste Partner des Fürsten bei seinen Vorhaben war der Baumeister Friedrich Wilhelm von Erdmansdorff. Dessen erster Bau in Wörlitz war übrigens kein Schloss, sondern ein großes Armenhaus, ein Zeichen dafür, welche Prioritäten die beiden Verfechter der Aufklärung setzten. In fast sechs Jahrzehnten Regierungszeit schuf Fürst Franz, den das Volk dankbar Vater Franz nannte, nicht nur den Park in Wörlitz und die dortigen Gebäude, sondern auch Gärten und Schlösser an anderen Orten seines kleinen Fürs­tentums, fast immer an Seen. Die Parks waren durch Pappelalleen und bepflanzte Deichanlagen miteinander verbunden und bilden heute das 145 Quadratkilometer große UNESCO-Weltkulturerbe des Dessau-Wör­litzer Gartenreiches.

 

Im September 2006 war es dann endlich soweit: Auf der Felseninsel im Wörlitzer See spieh wieder der Vulkan. Dieser „Wunderberg“ war zwischen 1788 und 1794 erbaut worden und wurde nun nach langjährigen Restaurationsarbeiten wieder in Betrieb genommen. In dem 20 Meter hohen künstlichen Berg wurde eine aufwendige Technik verborgen, um regelmäßig den einzigen Vulkanausbruch von Menschenhand inszenieren zu können. Dazu gehört ein Regenrückhaltebecken am Berghang, um ausreichend Wasser für den Lavaausbruch zu haben. Gottfried Knapp beschrieb den ersten Vulkanausbruch des erneuerten Vulkans in der „Süddeutschen Zeitung“ so: „Der Vesuv probt den Ausbruch. Ein dumpfes Grummeln ist den Tag über zu hören. In der Nacht ist es dann so weit. Der Berg beginnt zu brüllen und zu bersten. Flammengarben schießen aus seiner Spitze in die Höhe, bis sich eine haushohe Feuerlohe vor dem Nachthimmel erhebt. Dann platzen die Flanken. Große Funkensalven schießen knatternd durch die Luft. Da kommt es glühend rot wie ein Sturzbach von der Höhe herabgeschossen. Ist es Lava, was da in den See hinabstürzt? Oder sind wir auf unserer phantastischen Bootsreise durch das Italien des 18. Jahrhunderts aus dem Golf von Neapel plötzlich nach Tivioli an die berühmten Wasserfälle transferiert worden? Die Elemente jedenfalls sind empört. Die Erde speit Feuer und Wasser gleichzeitig aus.“

 

Die Bewahrung eines kulturellen Erbes

 

Das Elbe-Hochwasser im Sommer 2002 bedrohte auch dieses Gartenreich. Dank der Deichverstärkungen durch Feuerwehr und Technisches Hilfswerk versanken die Parks und Schlösser nicht in den Fluten. Allerdings wurden große Flächen und ganze Dörfer in der Umge­bung überflutet, die durch Zuflüsse und Kanäle mit dem Wörlitzer Park verbunden sind. Deshalb gelangte eine Mischung von Fäkalien und Ölresten in den Park und musste mühsam beseitigt werden. Auch wurden bei den heftigen Niederschlägen Bäume entwurzelt, Böschungen zerstört und Wege unterspült. Zudem richtete der sehr hohe Grundwasserspiegel einige Schäden an. Im Sommer 2003 passierte dann genau das Gegenteil. Geringe Niederschläge und als Folge ein niedriger Wasserstand führten dazu, dass im Wörlitzer Park die Gondeln ihren Betrieb einstellen mussten. Rasch wurden alle Schäden wieder weitgehend behoben.

 

Das Gartenreich Dessaz-Wörlitz gehört heute zum Biosphärenreservat Mittlere Elbe, einem der 14 von der UNESCO anerkannten Biosphärenreservate in Deutschland. Dies sind große Schutzgebiete, die sowohl Natur- und Landschaftsschutzgebiete als auch Wirtschaftsflächen umfassen. Es geht bei diesem Konzept neben dem Naturschutz auch um ökonomische, soziale, kulturelle und ethische Aspekte, die miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Ein harmonisches Miteinander des wirtschaftlich tätigen Menschen mit der Natur soll erreicht werden – genau das, so hätte sicher Fürst Franz gesagt, habe ich auch angestrebt. Als ökologisch besonders wertvoll werden die Auenlandschaften angesehen, die im Urstromtal der Elbe liegen und nicht eingedeicht wurden. Bei hohem Wasserstand werden sie überflutet, bei Niedrigwasser fallen sie trocken. In diesem Lebensraum sind mehr als 1.000 Pflanzen zu Hause, ebenso Hunderte von Tierarten, darunter über 500 Schmetterlings- und 132 Bienenarten. Mehr als 150 Brutvogelarten und mehr als 50 Libellenarten wurden gezählt. Auch der Elb-Biber fand hier ein Rückzugsgebiet.

 

Während die Auenlandschaft sich weitgehend selbst überlassen werden kann, brauchte der Kühnauer See als weiterer Teil des Gartenreiches vor einigen Jahren dringend eine Sanierung, denn er drohte völlig zu verlanden. Der See entstand bei Eindeichmaßnahmen an der Elbe als Stillgewässer und wurde von Fürst Franz in sein Gartenreich einbezogen. Die Überdüngung des Sees und seine Teilung durch einen Damm beschleunigten die Verlandung in den letzten Jahrzehnten. In den 1990er Jahren wurden große Mengen Schlamm und Sand entfernt, verlandete Flächen wieder in den See einbezogen und der Damm beseitigt. Auf diese Weise konnte der Kühnauer See als Lebensraum für vom Aussterben bedrohte Pflanzen- und Tierarten erhalten werden. Selten gewordene Pflanzen wie die Wassernuss wurden wieder angesiedelt und auch der Elb-Biber baut hier jetzt wieder Burgen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie in einer vom Menschen gestalteten Landschaft immer wieder gravierende Eingriffe erforderlich sind, um sie zu erhalten. Die „verschönerte Landschaft“ rund um Wörlitz braucht ständige Pflege, das hat sich seit den Zeiten „unseres“ Fürsten nicht verändert, und wie damals gilt es, eine Balance zwischen natürlichen Veränderungen und menschlichen Eingriffen zu erreichen, damit die „reinste Lieb­lichkeit“ bewahrt wird.

 

Die Dürre 2018 in weiten Teilen Deutschland traf auch das Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Der Wasserspiegel sank so stark, dass ein Teil der Kanäle und Seen trocken fielen und die Gondelfahrten eingestellt werden mussten. Um die Pflanzenwelt zu erhalten, waren jeden Tag mehrstündige Bewässerungsaktionen erforderlich. Nach Auffassung des BUND sind auch Wasserbaumaßnahmen für die Probleme in Elbauen und Gartenreich mit verantwortlich. Die Ausbaggerung der Elbe führe zu einer Tiefenerosion des Flusses, sodass immer weniger Wasser in der Auenlandschaft gelange. Das treffe auch das Gartenreich. Es zu bewahren, ist angesichts von Klimawandel und fortbestehender Bestrebungen zum weiteren Ausbau der Elbe als Wasserstraße eine bleibende Aufgabe.