Die Auseinandersetzungen um eine Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs

 

Wie kompliziert und zugleich wichtig es ist, auf die globalen Handels- und Dienstleistungsverhandlungen Einfluss zu nehmen und welche Möglichkeiten es hierfür gibt, möchte ich jetzt am Beispiel der GATS-Verhandlungen zeigen. Es soll exemplarisch deutlich werden, warum im Zeitalter der Globalisierung eine fundierte Analyse komplexer Zusammenhänge die Voraussetzung dafür schafft, Alternativen zu entwickeln und durchzusetzen und wie nationale und internationale Initiativen zusammenwirken müssen. Das Stichwort GATS dürfte den meisten Bundesbürgern unbekannt sein, und doch geht es dabei um zentrale Fragen des zukünftigen Wirtschafts- und Gesellschaftslebens. Bereits an dieser Stelle ist ein großes Defizit des kirchlichen Engagements in ökonomischen Fragen zu konstatieren. Dass es ein halbes Jahrzehnt seit dem Abschluss des Vertrages gedauert hat, bis bei uns überhaupt öffentlich über GATS debattiert wird, und dass die deutschen Kirchen, obwohl sie mit Büros in Brüssel und zumindest kleinen Arbeitsstäben zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen ausgestattet sind, nicht rechtzeitig und unüberhörbar Alarm geschlagen haben, ist ebenso peinlich wie unverständlich. Dies um so mehr, als viele kirchliche Einrichtungen, so die Krankenhäuser, direkt von GATS betroffen sind. Worum geht es also bei GATS?

 

Das „General Agreement on Trade in Services“ ist eine Vereinbarung im Rahmen der Zusammenarbeit in der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation). Die WTO wurde Mitte der 90er Jahre gegründet, um den Welthandel zu fördern und insbesondere eine Liberalisierung der Handelsbeziehungen voranzubringen.[1] Ein wichtiger Bereich der WTO-Liberalisierungsbestrebungen sind die Dienstleistungen. Zwar machen sie nur etwa ein Viertel des Welthandels aus, aber in vielen Industrieländern entfallen mehr als zwei Drittel des Sozialprodukts auf diesen Bereich. Als entsprechend vielversprechend wird von den Dienstleistungskonzernen das internationale Geschäftspotenzial angesehen. Mit der Gründung der WTO ging der Abschluss des GATS-Vertrages über eine internationale Liberalisierung des Dienstleistungssektors einher, der am 1. Januar 1995 in Kraft trat und von vornherein auf eine immer weiter voranschreitende Liberalisierung ausgerichtet war.[2]

 

Über die nächste Phase dieses Prozesses wird verstärkt seit der WTO-Ministerkonferenz in Doha (Katar) im November 2001 beraten. Bei den GATS-Verhandlungen geht es um zwölf Bereiche, darunter Freiberufliche Dienstleistungen (wie z. B. Tierärzte), EDV-Dienstleistungen, Gesundheitswesen, Energie, Personen- und Gütertransport, Tourismus, Museen, Bibliotheken, Verwaltung, Reinigungswesen, Müllentsorgung, Kultur, Schulen, Forschung, Post, Wasserver- und -entsorgung, Hotels, Radio, Fernsehen, Altenpflege und Kinderbetreuung. Ausgenommen sind lediglich der Luftverkehrssektor und die Aufgaben, die zu den „hoheitlichen“ Aufgaben des Staates gehören (wobei umstritten ist, was dazu gehört).

 

Unterschieden wird zwischen vier Formen der Erbringung der Dienstleistungen, die von GATS betroffen sind:[3]

 

1. die grenzüberschreitende Lieferung,

 

2. der Konsum von Dienstleistungen im Ausland (z. B. Tourismus oder die Reparatur eines Schiffes in einem ausländischen Hafen),

 

3. die kommerzielle Präsenz im Ausland (z. B. ein Cluburlaubs-Dorf eines deutschen Reiseveranstalters im Senegal oder ein Tochterunternehmen einer deutschen Bank in Laos),

 

4. die zeitweise Migration von Dienstleistungserbringern.

 

Besonders der dritte Punkt, die Einbeziehung von ausländischen Direktinvestitionen in die Vereinbarungen, ist umstritten. Kritiker werfen der WTO vor, damit zumindest in Teilbereichen das fortzusetzen, was Ende 1998 vorerst bei den MAI-Verhandlungen (Multilaterale Abkommen über Investitionen) gescheitert ist, nämlich die rechtliche Absicherung einer ungehinderten Investitionstätigkeit von multinationalen Konzernen in aller Welt. Die Pläne für MAI-Abkommen waren angesichts der breiten Proteste in vielen Teilen der Welt zunächst aufgegeben worden, über die GATS-Verhandlungen wird das Anliegen jetzt im Bereich der Investitionen im Dienstleistungsbereich wieder eingeführt. Das Ergebnis ist, dass Länder die Möglichkeit verlieren, Regeln für Auslandsinvestitionen festzulegen, zum Beispiel Einschränkungen des Gewinntransfers oder Auflagen zur Schaffung von Arbeitsplätzen.[4]

 

Dabei geht es um eine ganz zentrale Frage im Blick auf das Wirtschaftsleben der Zukunft. Es gibt nach Berechnungen der UN-Unterorganisation UNCTAD weltweit etwa 82.000 multinationale Konzerne (Stand 2008). Sie besitzen etwas 230.000  bis 250.000 Tochterunternehmen.[5] Ob diese Unternehmen auf einem liberalisierten globalen Markt frei schalten und walten können wie sie wollen oder ob sie verbindlichen nationalen und internationalen Regelungen unterworfen sind, macht also einen enormen Unterschied. Das erklärt die Proteste gegen MAI ebenso wie den Versuch der Unternehmen, über den GATS-Prozess zumindest für den Dienstleistungsbereich doch noch zur „großen Freiheit“ zu kommen.

 

Liest man WTO-Publikationen, so entsteht das Bild einer heilen Welt des liberalisierten globalen Dienstleistungsmarktes und es scheint nur an Fehlinformationen und Fehleinschätzungen zu liegen, dass es irgendwelche Proteste gegen GATS gibt.[6] Organisationen wie die WTO haben aus den Erfolgen von Protestbewegungen gelernt, und wer im Internet die Seiten der WTO aufsucht, der wird mit einem ganzen Bündel von Informationen zu GATS versorgt, unter anderem dem Text der Broschüre „GATS – Facts and Fiction“.[7]

 

Als „Fiction“ werden die Aussagen von GATS-Kritikern bezeichnet, die in der Broschüre selektiv ausgewählt abgedruckt werden mit dem Ziel, sie zu widerlegen. Es kann nicht überraschen, dass in der WTO-Broschüre die Behauptung aufgestellt wird, Handelsliberalisierung diene dem menschlichen Wohlergehen und habe einen der größten Beiträge in der Geschichte der Menschheit zu Wirtschaftswachstum und zur Überwindung der Armut geleistet. Herausgestellt wird in dieser Verteidigungsschrift, die über 140 WTO-Länder hätten jede Freiheit, selbst zu entscheiden, für welche Bereiche sie eine Liberalisierung des Handels- mit Dienstleistungen vornehmen wollten. Sie könnten dies mit bestimmten Einschränkungen tun und es gäbe die Möglichkeit, solche Marktöffnungen auch wieder rückgängig zu machen. Aber es sei in ihrem eigenen Interesse, sich am weiteren Prozess der Liberalisierung zu beteiligen, denn sie bringe dem eigenen Land Vorteile. Die Entscheidungen über GATS wie andere Bereiche der WTO-Arbeit würden demokratisch von allen mehr als 140 Ländern getroffen, jedes Land habe eine Stimme.

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 


[1] Die WTO knüpft damit an die GATT-Vereinbarungen an, die 1948 entstanden, um den Freihandel zu fördern. Die GATT-Verhandlungen konzentrierten sich auf die Liberalisierung des Warenhandels, vor allem durch den Abbau von Zöllen und Abgaben.

[2] In einer WTO-Einführung zu GATS heißt es hierzu: „Among the most important elements in the GATS package is the promise that successive further rounds of negotiations will be undertaken to continue opening up world trade in services“, WTO Secretariat: An introduction to the GATS, Genf 1999, S. 1

[3] Vgl. ebenda, S. 2f.

[4] Vgl. dazu u. a.: Die WTO zu wessen Diensten? Ein Positionspapier der Erklärung von Bern zum WTO-Dienstleistungsabkommen GATS, Zürich 2000, S. 3f.

[5] Vgl. OECD: Multinational enterprises in the global economy, Paris 2018, Link: https://www.oecd.org/industry/ind/MNEs-in-the-global-economy-policy-note.pdf

[6] In der Broschüre: „GATS – Facts and Fiction“ der WTO heißt es auf Seite 2: „Recently, however, the negotiations and the GATS itself have become the subject of ill-informed and hostile criticism.“

[7] WTO: Facts and Fiction, a. a. O.