Madeira – Kanäle sorgen für eine üppige Vegetation

 

Madeira, der „Blumentopf“ im Atlantik, gehört zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen. Und Wanderungen entlang der Levadas zählen zu den geschätzten Urlaubsaktivitäten. Diese Levadas sind eines der eindrucksvollsten Bewässerungssysteme in Europa. Notwendig sind sie, weil ein Gebirgsmassiv den Norden und den Süden der Insel teilt, und es nur im Norden viel regnet (etwa 2.000 mm im Jahr). Das Regenwasser sickert in den porösen vulkanischen Boden und tritt in zahlreichen Quellen wieder an die Oberfläche. Der Norden ist aber der weniger fruchtbare Teil des Landes, und um eine landwirtschaftliche Nutzung des niederschlagsarmen Südens (700 mm im Jahr) zu ermöglichen, wurde ein weit verzweigtes System von Bewässerungskanälen gebaut. Die Bewässerung wurde umso dringender, als bald nach der portugiesischen Entdeckung im Jahre 1418 große Teile der Lorbeerwälder abgeholzt und damit das Klima und die Wassersituation auf der Insel nachteilig verändert wurden. Madeira heißt auf Portugiesisch Holz, aber heute ist nur noch ein Fünftel der Insel mit Lorbeerwäldern bedeckt.

 

Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an wurde auf Madeira in großem Stil Zuckerrohr angebaut, aber nach kaum einem Jahrhundert war dieser Boom vorbei, weil es nun billiger war, auf großen Flächen in Brasilien Zuckerrohr anzupflanzen und von schwarzen Sklaven ernten zu lassen. Madeira blieb aber wichtig als Versorgungsstation der portugiesischen Schiffe mit Obst und Gemüse, bevor sie sich auf den langen Weg zu anderen Kontinenten machten. Wichtigste Exportprodukte wurden Wein und Bananen. Besonders die Bananen benötigen viel Wasser, 1.000 Liter für jedes geerntete Kilogramm Früchte. Ohne die Levadas wäre der Bananenanbau auf der Insel nicht möglich.

 

Ein Meisterwerk der Baukunst

 

Die ersten Bewässerungskanäle entstanden schon bald nach dem Beginn der portugiesischen Besiedlung im 15. Jahrhundert. Die gebirgigen Regionen im Zentrum der Insel stellten eine große Herausforderung für die damalige Wasserbaukunst dar. Auf vielen Strecken mussten die Kanäle mit Spitzhacke, Hammer und Meißel aus dem Fels herausgehauen oder herausgesprengt werden. Viele Levadas führen in schwindelerregender Höhe durch die Küstengebirge, einige auch durch Bergtunnel. An manchen Stellen muss­ten die Arbeiter in Körben an den Felswänden heruntergelassen werden, um Rinnen in das Gestein zu schlagen. Für diese gefährlichen Arbeiten wurden vor allem maurische Sklaven aus Nordafrika eingesetzt. Viele von ihnen kamen beim Bau der Levadas ums Leben. Selbst beim Bau weiterer Levadas im 20. Jahrhundert gab es noch einige Tote. Die letzte Levada wurde 1978 fertiggestellt.

 

Diese Levadas sind Meisterwerke der Baukunst. Da viele Quellen auf der Nordhälfte der Insel, die die Levadas speisen, nur geringfügig höher liegen als die Terrassen im Süden, konnte nur ein sehr leichtes Gefälle eingebaut werden, sodass auch die Wege entlang der Wasserkanäle fast eben sind. Diese Wege wurden für die etwa 500 staatlichen Wärter („Levadeiros“) angelegt, die mit Schaufel und Besen dafür sorgen, dass die Levadas nicht durch Zweige, Blätter oder Müll verstopfen und das Wasser die Felder erreicht. Außerdem überwachen die Levadeiros, dass jeder Bauer nur so viel Wasser aus den Levadas abzweigt, wie ihm zusteht. Da auch nachts Wasser auf die Felder geleitet wird, müssen die Levadeiros auch zu diesen Zeiten darauf achten, dass niemand zu lange Wasser auf seine Felder leitet. Um vor Ort zu sein und eventuellen Missbrauch festzustellen, übernachten die Wächter in kleinen Häusern an den Levadas. Der Wasserwärter Manuel Rocha sagte vor einigen Jahren einer deutschen Journalistin: „In den letzten 30 Jahren habe ich noch nie jemanden erwischt. Das Aufregendste, was hier passiert ist: Wir haben für unsere Leute ein neues Haus gebaut.“

 

Parallel zum Bau der Levadas galt es, in mühevoller Kleinarbeit Hunderte von Terrassen anzulegen und so auch noch kleinste Stücke Land zu nutzen. So kann es nicht überraschen, dass ein Sprichwort auf der Insel lautet: „Kauf dir Land, und du kaufst dir Arbeit.“ Manche dieser Terrassen ­liegen an steilen Abhängen oberhalb des Meeres und waren früher nur von See her mit Booten zu erreichen. Die Terrassen ermöglichten nicht nur eine gute Landausnutzung, sondern auch eine optimale Verwendung des mühevoll zu den Feldern geleiteten Wassers. Die meisten der kleinen Felder waren im Eigentum von Großgrundbesitzern, die von ihren Pächtern die Hälfte der Ernte verlangten. Außerdem wurden die Pächter gezwungen, Exportprodukte anzubauen, mit denen die Grundbesitzer zu hohen Geldeinnahmen kommen konnten. Darüber wurde der Anbau von Getreide vernachlässigt, sodass es auf der Insel im 19. Jahrhundert zu Hungersnöten kam und viele arme Familien auswandern mussten.

 

Eine gescheiterte Privatisierung

 

Heikel war stets die Frage, wer die Kontrolle über das kostbare Wasser der Levadas haben würde. Bereits 1471 wurde vom Staat festgelegt, dass das Wasser von Madeira auch dann kein Privateigentum ist, wenn eine Quelle auf dem eigenen Land entspringt. Bald darauf wurde zusätzlich vom König festgelegt, dass niemand den Bau einer Levada über sein Land verhindern oder daraus Ansprüche auf das Wasser ableiten durfte. 1914 wurde dann der Privatbesitz am Wasser erlaubt.

 

Was dann geschah, hat Ulli Langenbrinck in seinem Buch „Madeira“ so geschrieben: „In der Folge entwickelte sich dieses lebenswichtige Element zum Spekulationsobjekt, was fatale Konsequenzen hatte. Manche Eigentümer besaßen Land, andere hatten Wasser, aber kein Land, und die Bauern und Pächter waren von den Wasserbesitzern völlig abhängig, da die Preise der ‚Wasserstunden‘, also der Wasserzuteilungen, und die Gebühren für Nutzungsrechte völlig der staatlichen Kontrolle entzogen waren – die ‚Wassermafia‘ hatte die Insel in der Hand.“ 1943 wurde diese Privatisierung wieder zurückgenommen und die allermeisten Levadas sind heute im öffentlichen Eigentum.

 

Die Levadas heute – Attraktion und Lebensader einer Insel

 

„Anstatt Levadawandern als Extremsport zu betreiben, bleiben die meisten Urlauber und Urlauberinnen an den schönsten Stellen in der Sonne sitzen – oder im Schatten, je nach Jahreszeit. Sie genießen es, in der Natur, in der Stille und Einsamkeit zu rasten. Mit dem blauen Atlantik unter blauem Himmel und den unzähligen Nuancen der Farbe grün an den Hängen und in den Wäldern. Auch unter den Madeirensern nimmt die Zahl der Levadawanderer zu – wenn auch langsam. Sie entdecken die vergessene Schönheit ihrer Heimat und die Intelligenz des traditionellen Bewässerungssystems.“ So beschreibt die virtuelle „Madeira-Zeitung“ (Link) die weiter zunehmende Begeisterung für das Wandern an den Bewässerungskanälen. Der Weg entlang der Levadas zum „Tal der 25 Quellen“ mit beeindruckenden Wasserfällen wird jedes Jahr von Tausenden Besuchern gegangen.

 

Ein „Blumentopf" mit 800 verschiedenen Pflanzen

 

Das milde Klima und das Wasser der Levadas sorgen dafür, dass Madeira als Blumeninsel gerühmt werden kann mit Strelitzien und Weihnachts­sternen, Bougainvillea und Hibiskus, Magnolien und Trompetenblumen. Insgesamt wurden 800 Pflanzenarten auf der Insel gezählt, und einige von ihnen blühen das ganze Jahr über in dem milden Klima mit einer Durchschnittstemperatur von 21 Grad.

 

Der Wasserreichtum und das milde Klima haben es auch ermöglicht, viele schöne Gärten und Parks anzulegen, darunter Blandy’s Garten, den eine reiche englische Familie gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Stil der Heimat, aber mit Pflanzen der Insel anlegen ließ. Kamelienhecken und Rosen, Proteas aus Südafrika, Lilien und Azaleen erfreuen jedes Jahr viele Tausend Besucherinnen und Besucher. Der Garten des Monte-Palastes oberhalb von Funchal mit einer großen Azaleensammlung und vielen seltenen Farnen gehört zu den wichtigen Touristen­attraktionen der Hauptstadt von Madeira. Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich der Botanische Garten mit Pflanzen aus aller Welt, darunter prachtvolle Orchideen.

 

Es wird auf Madeira erzählt, dass Gott Mitleid mit den Menschen hatte, die er aus dem Paradies vertrieben hatte, und deshalb Madeira als neues Paradies für sie schuf. Skeptiker sagen, dass dann die Menschen gekommen seien und hässliche Hotelklötze an die Küste dieses Paradieses gebaut haben, aber vielleicht werden solche Bemerkungen der Schönheit Madeiras nicht gerecht. Was man auf der Insel auf jeden Fall studieren kann, ist die Bedeutung des Wassers für eine Pflanzenwelt, die zumindest an das Paradies erinnert.

 

Steigender Wasser- und Energiebedarf

 

Insgesamt hat das Levadanetz heute eine Länge von 2.150 Kilometern, davon 40 Kilometer in Tunneln. Da Madeira nur knapp 60 Kilometer lang ist, lässt sich ahnen, wie dicht das Netz der Levadas die Insel überzieht. Hinzu kommen die Abzweigungen, die zu den einzelnen Feldern führen, noch einmal 3.000 Kilometer kleine Kanäle. Das Wasser einiger hoch gelegener Quellen dient zunächst zum Antrieb von Turbinen für die Elektrizitätserzeugung, bevor es Bewässerungszwecken zugeführt wird.

 

Das System funktionierte gut, bis die Zahl der Touristen auf weit über eine Million im Jahr stieg und parallel der Wasser- und Energieverbrauch sprunghaft zunahm. Die Folge war, dass in den Sommermonaten die Leistung der Wasserkraftwerke vermindert werden musste, damit genügend Wasser aus den Hähnen floss. Dafür lief das Dieselkraftwerk auf Hochtouren. Um dieses Problem zu lösen, wurden riesige Stollen in den Bergregionen angelegt, in denen in regenreichen Monaten Wasser gespeichert wird, um in Zeiten mit hohem Wasserbedarf genutzt zu werden. Parallel dazu wird die umweltschonende Energieerzeugung aus Wasser, Sonnen- und Windenergie ausgebaut. Deren Anteil soll bis 2020 auf 50 Prozent steigen.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann