Der Zimmermann Josef vermittelt seinem Sohn handwerkliche Kenntnisse.
Der Zimmermann Josef vermittelt seinem Sohn handwerkliche Kenntnisse, Skulpturengruppe in der Katharinakerk/Belgien Foto.Sedmak

Josef, der Vater Jesu und wahrscheinlich kein alter Mann

 

Wer war der alte Mann, der auf vielen Bildern der heiligen Familie ein Randdasein fristet und häu­fig weiter entfernt von der Krippe platziert wur­de als Ochs und Esel, dazu nicht selten als Schla­fender? Dass er so alt, manchmal fast greisenhaft wirkt, ist Programm. Damit soll glaubwürdiger erscheinen, dass er nicht der leibliche Vater des Jesuskindes sein kann, sondern ihn lediglich adoptiert hat. Josef ist auf vielen christ­lichen Bildern für das Praktische zuständig, etwa für das Führen des Esels. Im Mittelpunkt der Darstellungen stehen Maria und das Jesuskind. Dabei trägt Josef in den Evan­ge­lien durchaus sympathische Züge und entfaltet vielfältige Aktivitäten. Er will es vermeiden, Maria bloßzustellen und plant, sie ohne großes Aufheben zu verlassen. Er folgt den Weisungen in vier Träumen: heiratet Maria, flieht mit Mut­ter und Kind nach Ägypten, kehrt zurück in die Heimat und lässt sich in Nazareth nieder.

 

Ohne Josefs Gehorsam und seine Tatkraft wäre die ganze Komposition des Matthäusevangeliums gleich zu Beginn in sich zusammengefallen. Und nicht zu vergessen: Josef liefert mit seinem Stammbaum die Grundlage dafür, dass Jesus als Mes­sias anerkannt werden kann. Allerdings: Es ist im Neuen Testament kein einziges Wort Josefs überliefert. Er führt alle Anweisungen Gottes aus, so wie Noah einst seinen Kasten baute, ohne ein Wort zu sagen – oder zumindest, ohne dass ein Wort überliefert worden ist. Auch erfahren wir, dass Josef ein „armer Schlucker“ war, denn nur die Armen durften, wie es von Josef überliefert ist, nach der Geburt des Sohnes im Tempel in Jerusalem zwei junge Tauben anstelle eines Lammes opfern. Bei Lu­kas rückt Josef stärker als bei Matthäus in den Hintergrund und dies auch quan­titativ. Wird er im Matthäusevangelium sieben Mal erwähnt, kommt er bei Lukas nur fünf Mal vor. Markus erwähnt Josef überhaupt nicht. In Markus 6,3 wird Jesus zum „Sohn der Maria“.

 

Josef – Gedanken über einen gütigen Vater

 

Mit Jörg Zink ist zur Wahrnehmung Josefs festzustellen: „Josef gerät uns leicht zu einem senilen Trottel. Aber das Evangelium redet von einem wachen Menschen, der seinen Weg sieht, ihn geht, der sich durch seine Träume bestimmen lässt zu bleiben, auszuharren und anzunehmen, was auf so fremde Weise zu ihm kommt. Es redet von seiner Standfestigkeit, seiner Treue, seiner Hingabefähigkeit.“[1] Die Geschwister Jesu werden noch „stiefmütterlicher“ behandelt als Josef. In vielen christ­lichen Traditionen, zum Beispiel im apokryphen Protevangelium des Jakobus, wer­den sie zu Kindern aus der ersten Ehe Josefs, die er in die Ehe mit Maria einbringt.

 

Was nach der Geburt Jesu und der Erwähnung in dem Bericht über den zwölfjäh­ri­gen Jesus aus Josef geworden ist, erfahren wir auch außerhalb der neutestamentlichen Schriften nicht. Im Gegensatz zu populären Beschreibungen von Marias Aufnahme in den Himmel entwickelte sich kaum eine Legendenbildung zu Josefs weiterem Leben. Möglich ist, dass Josef schon früh verstarb, denn zur Zeit Jesu öffentlichen Wirkens lebte er eventuell nicht mehr und wird in den Evan­gelien nicht erwähnt, wenn von Jesu Familie die Rede ist. Und doch dürfen wir annehmen, dass Josef einen erheblichen Einfluss auf seinen Sohn ausgeübt hat. Das lässt sich schon daraus schließen, dass Jesus von seinem Vater das Bauhandwerk erlernt hat. In der Lutherbibel wird Jesu Vater als „Zimmermann“ bezeichnet (Matt­häus 13,55), aber genauer kann das griechische Wort „tékton“ mit „Bauhand­werker“ übersetzt werden, ein Handwerker, der sowohl mit Holz als auch mit Stein arbeitet. Bei Markus wird Jesus ebenfalls als „tékton“ charakterisiert (Markus 6,3).

 

Es gibt keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. Vermutlich war Josef zusätzlich Bauer, denn archäologische Erkenntnisse über das Leben in Nazareth weisen da­r­auf hin, dass viele Dorfbewohner als Kleinbauern nicht genug verdienen konn­ten und deshalb einen zusätzlichen Beruf ausübten wie zum Beispiel als Bauhandwerker.[2] Wenn das auch für die Familie von Josef galt, waren Vater und Sohn mit hoher Wahrscheinlichkeit – wie damals üblich – gemeinsam als Handwerker und Klein­bauern tätig, bis Jesus sich dann im Alter von etwa 30 Jahren dem Prediger Jo­han­nes der Täufer anschloss. Vielleicht war der Vater aber wie erwähnt schon vorher gestorben.

 

Es wird darüber spekuliert, ob Vater und Sohn am Bau der griechisch-römisch geprägten Stadt Sepphoris beteiligt waren, die nur wenige Kilometer von Nazareth entfernt lag. Dafür spricht, dass es in dem kleinen Dorf Nazareth mit Sicherheit nicht genügend Aufträge für Bauhandwerker gab, sodass sie in der Umgebung arbeiten mussten, und der Bau von Sepphoris war über Jahre das größte Bauvorhaben in weitem Umkreis. Aber Belege dafür, dass Josef und Jesus dort tatsächlich gearbeitet haben, gibt es nicht.

 

Was für ein Vater war Josef? War er ein sorgender Vater? Diese Frage können wir positiv beantworten, wenn wir lesen, was Maria nach der mühsamen, aber erfolgreichen Suche nach dem zwölfjährigen Sohn sagt: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ (Lukas 2,48) Man kann annehmen, dass Jesus ein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte, denn im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32) zeichnete er ein sehr positives Vaterbild. Auch verwendete Jesus das Bild von Gott als Vater. Auf negative Erfahrungen mit dem eigenen Vater deutet dies nicht hin, mehr wer­den wir nicht sagen können. Immerhin erfahren wir bei Matthäus, dass Josef „fromm und gerecht“ war, so die Luther-Übersetzung (Mat­thä­us 1,19).

 

In einem Stundenbuch von 1475 werden Josef, Maria und das Jesuskind auf der Flucht nach Ägypten dar­gestellt, aber diese Darstellung weicht deut­lich von anderen Bil­dern zu dieser The­matik ab. Maria reitet auf einem Esel und ist tief versunken in ein Buch, scheint keinen Blick für ihre Umgebung zu haben, auch nicht für die mittelalterliche Stadt mit Mauern, Türmen, Tor und Kirche im Hintergrund. Nichts deutet darauf hin, dass sie auf der Flucht ist. Josef, als alter Mann dargestellt, kümmert sich liebevoll um das kleine Kind. Er trägt das Kind, hat es mit seinem Tuch umschlungen und gibt ihm Geborgenheit und Sicherheit. Der Theologe und Pädagoge Peter Zürn hat über diesen Josef geschrieben: „Josefs Blick ruht auf dem Kind, er ist im Anblick des Kindes genauso versunken wie seine Frau im Buch. Josef geht voran, aber er schaut nicht auf den Weg, der vor ihm liegt. Trotzdem geht er voller Vertrauen diesen Weg, mit festen und raumgreifenden Schritten. Geht er wirk­­lich voran? Folgt er nicht eher seinem Kind ins neue Leben? Er trägt es und begleitet es auf seinen ersten Wegen, die ja wahrlich nicht einfach sind.“[3] Dies ist ein anderer Josef als der verschlafene Alte, der am Rande des Stalls als Statist steht, es ist ein Josef, der liebevoll und tatkräftig für ein kleines Kind sorgt.

 

Josef in den apokryphen Texten

 

Es waren zuerst apokryphe Schriften, die Josef alt aussehen ließen. Nach der koptischen „Historia Josefi“ vom En­de des 4. Jahrhunderts war Jo­sef schon 90 Jahre alt, als er die zwölfjährige Maria ehelichte.[4] Da musste die Jungfrauengeburt doch glaubwürdig er­scheinen. Und da die durch­schnittliche Lebenserwartung in der An­tike bei 45 Jahren lag und Josef nach der Szene mit dem zwölfjährigen Jesus bereits 102 Jahre alt gewesen sein müsste, ist der baldige Tod plausibel – wenn man der vor­an­gehenden Beschreibung als Darstellung historischer Ereignisse vertraut.

 

Im Kindheitsevangelium des Thomas tritt Josef mehrmals als Vater auf. Nachdem Jesus, so die Überlieferung dieses apokryphen Textes, von Josef zur Unterrichtung durch verschiedene Lehrer geschickt worden war, erwies er sich immer als klüger als seine Lehrer und kehrte jeweils nach heftigen Auseinandersetzungen zu seinem Vater zurück. Josef reagierte darauf mit dem Satz: „Wie selig bin ich, dass mir Gott dieses Kind geschenkt hat.“ Josef erwies sich als umsichtiger und gefühlvoller Vater, der auch in schwierigen Situationen zu seinem Sohn stand.[5]

 

Josef und Josef – zwei biblische Träumer

 

Der Josef des Alten Testaments gehört ohne Zweifel zu den interessantesten Per­sön­lichkeiten in der Geschichte des jüdischen Volkes. Er wuchs, wird uns berichtet, mit seinem Bruder Benjamin und seinen zehn Halbbrüdern als Kind von Jakob und Rahel auf. Als der Vater dem jugendlichen Josef, seinem Lieblingssohn, einen bunten Rock schenkte, wurden seine Halbbrüder zornig und verkauften ihn auf Vorschlag des Sohnes Juda an Sklavenhändler. Josef gelangte als Sklave an den Hof des Pharaos in Ägypten. Dort konnte er den Traum des Pharaos von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen deuten und Ägypten sieben Jahre reicher Ernten ankün­digen, für die Zeit danach aber sieben Jahre der Dürre prophezeien. Der Pharao folgte dem Ratschlag des Traumdeuters, in den erntereichen Jahren große Mengen Getreide einzulagern, die dann in den Dürre­jahren eine Hungersnot verhinderten. Der Pharao machte, so diese biblische Geschichte, den klugen Josef zu seinem obersten Verwalter.

 

Als nach Jahren guter Ernten die kata­stro­phale Dürre in der ganzen Region eingesetzt hatte, kamen Josefs Halbbrüder nach Ägypten, um Ge­trei­de zu kaufen. Josef gab sich seinen Brüdern erst zu erkennen, als er geprüft hatte, ob sie sich geändert hatten, und anschließend kam es zur Versöhnung und zur Aufnahme der ganzen Familie in Ägypten. Die Geschichte ist so fantastisch, dass kaum Zweifel bestehen können, dass sie sich historisch nie so zugetragen hat, sondern in die Kategorie der er­zählenden Theologie gehört. Als solche hat der Text aber eine große Bedeutung für die Entstehung einer jüdischen Identität und als Vorgeschichte zu dem berühm­ten Exodus aus Ägypten.

 

Professor Jürgen Ebach, der bis 2010 an der Universität Bochum lehrte, hat in einem Buch herausgearbeitet, dass es lohnt, sich mit Ähnlichkeiten zwischen dem alttestamentlichen und dem neutestamentlichen Josef zu beschäftigen. Nicht nur sind die Namen gleich, sondern die Väter der beiden Josefs trugen den Namen Jakob. Beide Josefs hielten sich zeitweise in Ägypten auf, und in beiden Fällen spielte ein König eine wichtige Rolle, der Pharao im alttestamentlichen und König Herodes im neutestamentlichen Bericht. Nicht zu vergessen: In beiden Fällen haben Träume eine große Bedeutung.[6] Davon wird gleich noch ausführlicher zu berichten sein.

 

Gott steht auf der Seite beider Josefs, erläutert der katholische Theologe Josef Wagner, was besonders beim alttestamentlichen Josef betont wird: „Und der Herr war mit Josef, so­dass er ein Mann wurde, dem alles glückte.“ (1. Mose 39,2) Erwähnenswert ist auch, dass beide bereit sind zu verzeihen, der eine Josef seinen Brüdern und der andere Maria, die auf unerklärliche Weise schwanger geworden ist. Interessant ist, dass der Josef der Hebräischen Bibel nicht in den Stammbäumen des Neuen Testaments auftaucht. Das erklärt sich daraus, dass nicht Josef als Sohn Rahels in die Genealogie aufgenommen wird, sondern Juda als Sohn Leas. Das war insofern schlüssig, als David zum Stamm Juda gehörte und aus dieser Abstam­mungs­­linie der Messias kommen sollte.[7]

 

Josef Wagner weist auf eine andere Ähnlichkeit der beiden Josefs hin. Der Name Josef kann mit „Zufüger“ übersetzt und auch als Glücksbringer gedeutet werden. Während der alttestamentliche Josef seinen Brüdern im ägyp­tischen Exil zu Rettung und Glück verhilft, sorgt der neutestamentliche Josef für das Wohl und Glück von Jesus und Maria, indem er sie in der Überlieferung von Matthäus wohlbehalten nach Ägypten und zurück bringt und damit vor dem siche­ren Tod bewahrt. Zu beachten ist, dass beide Josefs nicht nur nach Ägypten ziehen, sondern dass es in beiden Geschichten ganz zentral um den Weg aus Ägypten geht. Josef, Maria und Jesus kehrten bald aus dem Exil zurück, wodurch erfüllt war, dass der Messias aus Ägypten kommen sollte. Der Josef des Alten Testaments kehrte zwar nicht zu seinen Lebzeiten aus Ägypten zurück, aber seine Verschleppung und sein anschließender Aufstieg in diesem Land bildeten die Grundlage dafür, dass die Exo­dusgeschichte erzählt werden konnte. Interessanterweise gehört zu dieser Ge­schichte, dass der einbalsamierte Josef von seinen Nachfahren mit in die Heimat Ka­naan zurückgenommen wurde.[8]

 

Jürgen Ebach weist darauf hin, dass der Josef der Hebräischen Bibel „für das Leben in der Fremde steht, für eine universale Dimension, oder, anders akzentuiert, für ein Judentum in weltbürgerlicher Absicht“.[9] Josef lebte gezwungenermaßen in Ägypten, weil seine Brüder ihn dorthin verkauft hatten, und er gehört in die Ägypten­tradition der Hebräischen Bibel, zu der sowohl die Zuflucht zählte, die dieses Land wiederholt bot, als auch die Sklavenarbeit für den Pharao. Josef verbrachte den weitaus größten Teil seines Lebens in Ägypten, der biblischen Erzählung nach 93 von 110 Lebensjahren. Er kam dort zu großen Ehren, und Jürgen Ebach interpretiert dieses Leben in der Fremde so: „Die Josefsgeschichte ist in dieser Perspektive eine idealisierende Modellgeschichte, die in Szene setzt, dass Menschen Israels im fremden Land nicht nur für das eigene Volk, sondern auch für das ‚Wirtsvolk’ Gutes bewirken und dafür auch von beiden Seiten Anerkennung erfahren können. In der Zeit des Exils (in Babylonien, aber eben auch in Ägypten) konnte solches Erzählen zum Trost und zur Ermutigung werden.“[10]

 

Der Josef des Neuen Testaments hält sich hingegen nur so lange in Ägypten auf, bis die Gefahr für das Leben seines Sohnes durch den Tod von König Herodes beseitigt ist. Beide Formen des Lebens in der Diaspora begegnen uns also in den Josefsgeschichten, der dauerhafte Aufenthalt im fremden Land (ohne dass die mögliche Rückkehr in die Heimat ganz aus dem Blick gerät) und der recht kurze Aufenthalt als politischer Flüchtling, der sofort beendet wird, wenn die Bedrohung beseitigt ist.

 

Zwei Träumer retten Leben

 

An den Geschichten fällt auf, so Josef Wagner: „Beide Josefs folgen der Spur ihrer Träume und müssen einen mühsamen Weg nach Ägypten gehen, der eine durch die Missgunst der Brüder, der andere durch die Mordabsicht des Königs Herodes getrieben.“[11] Vom Josef der Hebräischen Bibel sind zwei Träume überliefert und eben­so zwei Traumdeu­tungen. Dass der neutestamentliche Josef ein „Träumer“ war und göttliche Weisungen in vier Träumen empfing, ist positiv zu bewerten, gerade wenn man wie der katholische Theologieprofessor Helmut Jasch­ke die Geburtsdarstellung Jesu durch Matthäus als „erzählende Theologie“ versteht: „Aber so wie die Legende tie­fere Wahr­heiten über einen Menschen vermitteln kann als reine Historie, so auch dieser Text. Menschen, die auf ihre Träume achten, haben einen Zugang zu den tieferen Schichten ihrer Seele und gestalten ihr Leben danach … Dass die göttliche Weisung innerlich, aus dem Raum der eigenen Seelentiefe, empfangen wird, zeigt uns Josef als einen Menschen, der unserem heutigen Denken und Fühlen recht nahesteht. Men­schen heute sind skeptisch ge­gen­über von außen kommender reli­gi­ö­ser und moralischer Belehrung. Sie wollen selbst Erfahrungen machen, die ih­nen ermöglichen, mit innerer Gewissheit ihre Lebensentscheidungen treffen zu kön­nen. So wird uns Josef als ein Mann vor Augen gestellt, der Tiefgang hatte und der in lebendigem Kontakt mit seinem unbe­wuss­ten Seelenraum stand.“[12]

 

Hierzu passen Überlegungen des evangelischen Theologen Fulbert Steffensky: „Eine der politisch-spirituellen Grundaufgaben der Kirche ist die Überlieferung der Geschichten und der Bilder von der Würde des Menschen … Das Evangelium baut unsere Träume von der Gerechtigkeit, es baut unser Gewissen. Der Mensch ist nicht nur verantwortlich vor seinem Gewissen. Verantwortlich ist er auch für sein Gewissen.“[13] Über unsere heutige Zeit schreibt Steffensky: „Die Träume gehen verloren. Wir sehen uns neuen Lebenslagen gegenüber, in denen Gedächtnislosigkeit und Traumlosigkeit zum Prinzip zu werden drohen. Gedächtnis und Traum hängen zusammen. Die Erinnerung daran, was Menschen angetan wurde, schärft die Träume und die Grundkenntnisse der menschlichen Welt, die kommen soll. Die Er­innerung ist die Triebkraft der Vision vom ganzen Leben …“[14] Am Ende des Beitrags schreibt Steffensky nachdenklich: „Kann es sein, dass wir in unseren eigenen Kirchen mitarbeiten an der Aushöhlung und Banalisierung der lebensrettenden Träume? Wir sollen mehr sein als nur eine Stimme im großen Gelächter der Gegenwart. Wir sind verantwortlich für Vision und Gewissen. Es sind genug andere da, die die Leute unterhalten.“[15]

 

Das Bild Josefs in der Kirchengeschichte

 

Josef von Nazareth wurde im Orient schon früh verehrt, während er im Westen, soweit dies über­liefert ist, erst im 9. Jahrhundert größere Beachtung fand. Auf der Insel Reiche­nau fand damals jeweils am 19. März ein Fest zu Ehren Josefs statt. Es wird angenommen, dass dieses Fest in Konkurrenz zum Fest der Minerva im Römischen Reich entstand, der Göttin der Handwerker. Aber erst 1479 hat Papst Sixtus IV. den 19. März als Josefstag zum offiziellen Feiertag erklärt, Josef blieb dennoch im Schatten Marias, gewissermaßen ein Heiliger in der zweiten Reihe. Zwar wurde der 19. März als Josefstag im Habsburger Reich zum offiziellen Feiertag erklärt, aber das lag vor allem daran, dass Kaiser Ferdinand II. am 19. März 1620 mit einem Josefsbildnis in eine Schlacht gezogen war und gesiegt hatte.

 

In den Schriften Martin Luthers wird ein positives Bild von Josef gezeichnet, vielleicht auch in Abgrenzung zur aus Sicht des Reformators zu weit gehenden Marienverehrung in der katholischen Kirche. Dabei hebt Martin Luther den Gehorsam Josefs gegenüber Gott hervor: „Daneben ist’s nicht die kleinste Tugend, dass Joseph so williglich tut nach Gottes Befehl ohne Murren und Widerrede … Da gibt er ein Beispiel allen, die in göttlichem Amt stehen, daß sie ohne Widerrede williglich han­deln, ob’s gleich schwer und unlustig ist.“[16]

 

In der Barockzeit entstand ein neues Interesse an Josef, vor allem in der christlichen Kunst. Gleichzeitig stieg der Mann, über dessen Tod wir nichts wissen, in dieser Zeit auch zum Schutzpatron der Sterbenden auf. In der katholischen Kirche ist Josef seit dem 19. Jahrhundert stärker aus dem Schatten Marias herausgetreten. Papst Pius IX. erklärte 1870 Josef zum Patron der katholischen Kirche. Warum das so ist, hat Leo XIII., ein Nachfolger von Pius, 1889 mit diesen Worten erklärt: „Die Gründe dafür, dass der heilige Josef als besonderer Patron der Kirche ange­sehen werden und die Kirche ihrerseits sich von seinem Schutz und Beistand sehr viel erwarten darf, rühren hauptsächlich daher, dass er der Mann Mariens und ver­meintliche Vater Jesu ist … Josef war zu seiner Zeit rechtmäßiger und natürlicher Hüter, Haupt und Verteidiger der göttlichen Familie. Es ist daher für den hei­ligen Josef angebracht und seiner höchst würdig, dass er, so wie er einst die Familie in Nazaret in allen Belangen heiligmäßig zu beschützen gewohnt war, jetzt die Kirche Christi mit seinem himmlischen Beistand beschützt und verteidigt.“[17]

 

Mit Josef gegen Sozialdemokraten und Kommunisten

 

Um der sozialdemokratisch geprägten Arbeiterbewegung in Deutschland etwas entgegenzustellen, wurden im 19. Jahrhundert zahlreiche katholische Arbeiterver­eine gegrün­det, von denen die allermeisten sich in der Tradition Josefs sahen. Josef wurde zu einem Beispiel für die arbeitende Bevölkerung stilisiert. Ein Sinnbild für diese gegen die Sozialdemokratie gerichtete Josefstradition ist die beeindruckend große, mehr als ein Jahrhundert alte St. Josephskirche in Berlin-Wed­ding, die bewusst in der Müllerstraße in unmittelbarer Nähe der Berliner SPD-Partei­zen­trale errichtet wurde.[18]

 

1937 erklärte Papst Pius XI. den Heiligen Josef zum Patron all derer, die den Kom­munismus bekämpften. 1955 machte Papst Pius XII. den 1. Mai zum Gedenktag an „Josef den Arbeiter“ – als Gegenbild zum gewerkschaftlichen „Tag der Arbeit“. Zwar war Josef nach der Überlieferung ein selbstständiger Handwerker, aber das erschien sekundär gegenüber dem Bestreben, ein biblisches Vorbild für das katholische Verständnis eines Arbeiters zu finden. Und dafür bot sich Josef an, ein Mann in einfachen Verhältnissen, der aber aus dem Hause Davids stammte. Papst Johannes Paul II. schrieb 1989 in einem Apostolischen Schreiben über Josef: „Dank seiner Werkbank, an welcher er sein Handwerk zusammen mit Jesus ausübte, brachte Josef die menschliche Arbeit dem Geheimnis der Erlösung näher.“[19] Wenig später ist in dem Schreiben davon die Rede, dass „ein jeder seinem Stande entsprechend“[20] die Heiligung des Alltags erlangen sollte, so als lebten wir noch in einer Standesgesellschaft – oder so, als ginge es darum, den gesellschaftlichen Status quo zu stabilisieren, indem jeder sich entsprechend seinem „Stand“, sprich seinem Platz in der Wirtschaft und Gesellschaft, verhält.

 

Zu finden sind diese Überlegungen von Johannes Paul II. in einem 1989 veröffentlichten Apostolisches Schreiben „Redemptoris Custos – über Gestalt und Sendung des heiligen Josef im Leben Christi und der Kirche“, in dem die Bedeutung Josefs u. a. auf diese Weise hervorgehoben wird: „Zusammen mit Maria – und auch in Beziehung zu Maria – hat er, und zwar von allem Anfang an, teil an diesem entscheidenden Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes in Christus.[21]

 

Im 20. Jahrhundert wurden mehr katholische Kirchen dem heiligen Josef geweiht als irgendeinem anderen Heiligen mit Ausnahme der Jesusmutter Maria. 2006 verkündete Papst Benedikt XVI. zum Jo­sefs­tag: „Der Heilige Josef schützt die Arbeiter der ganzen Welt, damit sie in ihren verschiedenen Berufen zum Fortschritt der Menschheit beitragen.“[22]

 

Josef und die neue Familie

 

Und was bedeutet Josef heute für die Männer und für ein neues Familienbild? Der Theologe, Soziologe und Paarberater Martin Koschorke diagnostiziert negative Auswirkungen des Josef-Verständnisses, die bis in die heutigen Familien nachwir­ken: „Auch wenn er zahlreichen Orden und Kongregationen seinen Namen lieh, blieb er eine Figur, die man nicht ganz für voll nahm. In volkstümlichen Weihnachts­liedern ist er noch nicht einmal in der Lage, sein Kind zu wiegen. Das Gemälde eines alten italienischen Meisters in der Berliner Gemäldegalerie zeigt Josef in einer Ecke – am Kochtopf. Die Vatergestalt, die Matthäus schildert, ist weithin in Vergessenheit geraten. Lukas hat sich durchgesetzt, auf ganzer Linie. Die von ihm vorgezeichneten Bilder haben das abendländische Bewusstsein nachhaltig geprägt. Sie beeinflussen das Fa­milien-, Ehe- und Sexualleben bis auf den heutigen Tag. Mut­ter und Kind als geschlossene Einheit, in herzlichem Einverständnis, sexuelle Enthaltsamkeit oder Zurückhaltung als Ideal; der Mann als Vater – blass, ausge­schlossen, eine familiale Randerscheinung.“[23]

 

Aber wie wir gesehen haben, lässt sich das Bild Josefs auch positiver verstehen, und es lässt sich durchaus argu­mentieren, dass Josef nicht in das traditionelle Muster des Familienpatri­ar­chen zu passen scheint. Ist die Tat­sache, dass Jesus ne­ben dem Vater im Himmel keinen patriarchalen Vater in seiner Gemeinschaft dul­den wollte („ihr aber seid alle Brüder“, Matthäus 23,8) ein Zeichen dafür, dass Josef ihm eine partnerschaftlich ausgerichtete Vaterrolle vorgelebt hatte?

 

Jesus Anliegen war gewiss nicht die vaterlose Gesellschaft, sondern eine neue Form von Gemeinschaft in Familie und Gesellschaft. Die koreanische Theologin und Professorin Kim Seong-Hee argumentierte 2008 in der theologischen asiatischen Frauen­zeitschrift „In God’s Image“, dass in der antiken jüdischen Familie und Gesellschaft alle dem Patriarchen zu gehorchen hatten: „Aber Jesus überschritt die Grenze dieses herkömmlichen Kon­zeptes von Familie und verkündete ein neues Konzept. Entsprechend dieser Defini­tion sind alle gleichberechtigte Familienmit­glieder, wenn sie Gottes Willen befol­gen. Gottes Familie konstituiert sich nicht durch Blutbande, sondern dadurch, dass Gottes Wille wahrgenommen und entsprechend gehandelt wird.“[24] Ausge­schlos­sen bleibt in der neuen Gemeinschaft „das Unrecht des hierarchischen und patriar­chalen Systems“.[25] In einer Gemeinschaft, in der die Letzten die Ersten sein sollen (Markus 10,31), ist kein Platz für Patriarchen. Das schafft Raum dafür, dass „wir alle Brüder und Schwes­tern sind, die Respekt für einander haben und für einander sorgen“.[26] Das eröffnet, so Kim Seong-Hee, heute auch die Möglichkeit für un­ter­schiedliche Familienfor­men. Ihr Fazit für ihr Heimatland: „Die koreanische Gesellschaft sollte unterschied­liche Kulturen akzeptieren und offen sein für alle Fa­mi­lienformen, weil wir alle Gottes Kinder sind, die die Pflicht haben, Gottes Willen zu tun und an seinem Werk mitzuarbeiten.“[27]

 

Abgeschlossen werden soll dieser Abschnitt mit einem Josefs-Gebet des katholischen Schwei­zer Theologen und Pädagogen Peter Zürn:

 

Väter wie Josef

erzählen von dir,

dem uns zugewandten,

der uns birgt.

 

Väter wie Josef,

die dem

neuen Leben

folgen können,

die nicht bestimmen

und wissen,

was das Beste ist,

sondern dem kleinen

Kind Raum

lassen.

 

Solche Väter

erzählen von dir.

Von dir, die/der

an uns glaubt.

An uns als

gute Väter

und gute Mütter.

Amen.[28]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

Weitere Beiträge der Reihe "Ökumenische Porträts" finden Sie auf der Seite "Ökumenische Porträts". 

 



[1] Jörg Zink: Zwölf Nächte, Freiburg 1994, S. 98

[2] Vgl. Walter Bühlmann: Nazaret, Bibel heute, 1/2008, S. 19

[3] Peter Zürn: Maria liest und Josef trägt das Kind, Bibel heute, 1/2008, S. 24

[4] Vgl. Was wissen wir über den Vater und Ehemann Josef?, in: Maria und die Familie Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2009, S. 21

[5] Vgl. Josef in den Apokryphen, in: Josef – Vater Jesu, bibel heute, 1/2008, S. 5

[6] Vgl. Jürgen Ebach: Josef und Josef, Literarische und hermeneutische Reflexionen zu Verbindungen zwischen Genesis 37-50 und Matthäus 1-2, Stuttgart 2009, S. 15f.

[7] Vgl. ebenda, S. 17 und 31

[8] Vgl. u. a. ebenda, S 85f.

[9] Ebenda, S. 35

[10] Ebenda, S, 97

[11] Vgl. Josef Wagner: Des Zimmermanns Mitgift, Bibel heute, 1/2008, S. 8f.

[12] Helmut Jaschke: Er tat, was der Engel ihm befohlen hatte, Bibel heute 1/2008, S. 16

[13] Fulbert Steffensky: Die Träume gehen verloren, Junge Kirche, 7-8/1994, S. 386

[14] Ebenda

[15] Ebenda, S. 388

[16] Luthers Evangelien-Auslegung, Erster Teil, Göttingen 1951, S. 38

[17] Zitiert nach: Apostolisches Schreiben „Redemptoris Custos“, auf der Website des Vatikans zu finden unter: http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/apost_exhortations/documents/hf_jp-ii_exh_15081989_redemptoris-custos_ge.html (Abschnitt 28)

[18] Vgl. Stefan Förner: Der Sohn des Zimmermanns, Sendung des Deutschlandradios am 1.5.2010

[19] Apostolisches Sendschreiben „Redemptoris Custos“, a.a.O., ‚Abschnitt 22

[20] Ebenda, Abschnitt 24

[21] Ebenda, Abschnitt 5

[22] Zitiert nach: Zum Josefstag, Beitrag von BR-online, Bayerischen Rundfunk, 19.3.2010

[23] Martin Koschorke: Jesus war nie in Bethlehem, a.a.O., S. 84f.

[24] Kim Seong-Hee: Absence of Father in the New Community, In God’s Image, 1/2008, S. 17

[25] Ebenda, S. 18

[26] Ebenda, S. 19

[27] Ebenda

[28] Peter Zürn: Maria liest und Josef trägt das Kind, a.a.O., S. 24