Gemälde des Evangelisten Markus
Gemälde des Evangelisten Markus von Josef Kastner in der Karmeliterkirche in Wien Foto: iStock.com/sedmak

Markusevangelium - Kreuz und Auferstehung im ältesten Evangelium

 

Der Name Markus war in der Antike weit verbreitet, und wir wissen nicht, welcher Markus dieses Evangelium verfasst hat. Heute gilt als eher unwahrscheinlich, dass es sich, wie im 2. Jahrhundert vermutet wurde, bei Markus um einen Begleiter des Apostels Petrus gehandelt hat. Es ist nicht einmal sicher, ob der Evangelist tatsächlich Markus hieß. Es wird heute angenommen, dass der Verfasser des Evangeliums zu den Heidenchristen gehörte, also nicht im Judentum zu Hause war. Das wird daraus geschlossen, dass er jüdische Gebräuche für eine nichtjüdi­sche Leserschaft erklärte und aramäische Begriffe ins Griechische übersetzte. Es könnte aber auch sein, dass Markus ein Jude war, der seine Glaubenstraditionen anderen vermitteln wollte, die nicht im Judentum heimisch waren. Es wird vermutet, dass die jüdische Tora für die Gemeinde des Markus nicht mehr als Kultgesetz galt, aber eine ethische Weisung bildete (vgl. Markus 7,1-13).[1] Bemer­kens­wert ist, dass Jesus laut Markus in der Debatte mit den Pharisäern das Liebes­gebot als höchstes Gebot betont hat (Markus 12,28-34).

 

Gelebt hat Markus eventuell in Syrien, was daraus geschlossen wird, dass er den See Genezareth als „Meer“ bezeichnete, also vermutlich das Mittelmeer nicht kannte. Einige Ungenauigkeiten in der geografischen Zuordnung von Städten könnten eben­falls darauf hindeuten, dass Markus in Syrien lebte, aber sicher kann man in die­ser Frage nicht sein. Auch Rom wird in den ersten Jahrhunderten als Ort der Ent­stehung des Evangeliums vermutet. Seine „sehr einfache, oft unbeholfen wirkende Sprache“ (so Franz Joseph Schierse in seiner „Einführung in das Neue Testament“)[2] deutet darauf hin, dass Markus kein Gelehrter war wie die Verfasser ver­­schiedener anderer neutestamentlicher Schriften.

 

Dass von dem Evangelium unterschiedliche Textformen überliefert sind, führt in der Wissenschaft immer noch zu Debatten über den Schluss des ursprünglichen Textes. Es wird bezweifelt, dass die Verse 9 bis 20 des 16. Kapitels von Anfang an zu diesem Evangelium gehörten, und manche Wissenschaftler nehmen an, dass sie im 2. Jahrhundert hinzugefügt wurden. Ob das Evangelium ur­sprünglich einen anderen Schluss hatte, ist bis heute ungeklärt. Auch wird gemutmaßt, dass Matthäus und Lukas im Vergleich zur heute verwendeten Version des Evange­li­ums­textes unvollständige Versionen vorliegen hatten und deshalb einige Passagen des Textes beim Verfassen ihrer Evangelien unberücksichtigt ließen.[3] Schon in den ersten Jahrhunderten fanden viele Gläubige, dass dem Markusevangelium eine Ge­burts- und Kindheitsgeschichte Jesu fehlte, mit der Konsequenz, dass der Text eines unbe­kannten Autoren über diese Zeit im Leben Jesu als wiederentdeckter Anfang des Evangeliums verstanden wurde. Diese Zuordnung erwies sich allerdings als falsch, und der Text wird heute unter den apo­kry­phen Schriften gelistet.

 

Entstanden ist das Markusevangelium eventuell während des Aufstandes der Juden gegen die Römer (ab 66 v. Chr.), aber noch vor der Zerstörung des Tempels im Jahre 70, denn der Evangelist will die Gläubigen offenbar in einer Bedrohungssituation stärken, während ein direkter Hinweis auf die traumatisierende Zer­störung des wichtigsten Heiligtums in Jerusalem fehlt. Aber diese histo­rische Einordnung ist lediglich eine Vermutung. Auf jeden Fall gilt als gesichert, dass das Markusevangelium das älteste der vier Evangelien des Neuen Testaments ist. Älter sind im Neuen Testament nur die Briefe des Paulus. Während Paulus auf jeden Fall noch Mitglieder der Urgemeinde in Jerusalem getroffen hat, wissen wir dies von Markus nicht.

 

Als Jesus nicht rasch zurückkehrte

 

Markus und seine Generation der Gläubigen mussten erkennen, dass Jesus nicht so rasch wie erhofft auf die Erde zurückkehren würde; sie bewahrten aber die Hoffnung auf seine rasche Wiederkehr und ein Ende des irdischen Leidens. Nun, nach dem Tod der Apostel und all derer, die Jesus noch gekannt hatten, wollte Markus das aufschreiben, was über das Leben und vor allem über die Verkündigung Jesu erzählt wurde. Außerdem konnte Markus auf einige kleinere Sammlungen von Jesus-Aussagen und Berichte über die Wunder und die Passion Jesu zurückgreifen, wird heute angenommen.[4] All die Geschichten und überlieferten Aussagen Jesu galt es so zu einem Text zusammenzufügen, dass die Gläubigen mit großer Klarheit erkannten, was im Zentrum der Verkündigung Jesu stand und was dies für das nachösterliche Leben bedeutete. Es galt, Irrlehren entgegenzutreten und den Weg der Nachfolge als Weg des Kreuzes deutlich zu machen.[5] Markus war nicht Chronist, sondern hat das Gehörte und Gelesene auf beeindruckende Weise zu einem theologischen Werk komponiert.

 

Es galt zu erklären, warum Jesus Gottes Sohn war und trotzdem, ja gerade als Gottes Sohn am Kreuz starb – und dann auferstanden ist. Die große Bedeutung der Kreu­zestheologie in der christlichen Theologie lässt sich daher schon auf Markus als dem ersten Evangelisten zurückführen. Heute fragen manche Theologinnen und Theologen, ob nicht die Krippe neben dem Kreuz bei der For­mulierung einer zeitgemäßen Theologie stärker betont werden sollte. Dazu im Abschnitt über Jesu Geburt nach Lukas mehr. Dies war nicht Markus Thema, und das schon deshalb nicht, weil bei ihm die Krippe gar nicht vorkommt. Das Kreuz und in unlösbarer Verbindung damit die Auferstehung bilden den Mittelpunkt seines Evangeliums. Die fehlende Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu bei Markus ist vielleicht kein Zufall, sondern kann als eine Konsequenz des theologischen Programms dieses Evange­listen verstanden werden.

 

Die Leistung von Markus als erstem Verfasser eines Evangeliums ist beeindruckend. Dazu schreibt Hubertus Halbfas in seinem Standardwerk „Die Bibel“: „Markus sammelte das isoliert umlaufende Traditionsmaterial wohl zum ersten Mal in der Form eines ‚Evangeliums’. Dafür griff er zahlreiche Einzelsprüche und Einzelgeschichten auf, die untereinander in keinem Zusammenhang standen. Diese Stücke ordnete er in eine fiktive Wegroute ein, aus deren Nacheinander sich wie von selbst eine Zeitfolge ergab … Die Passionsdarstellung ist Ausgangspunkt der markinischen Komposition. Den übrigen Traditionsstoff ordnete Markus so an, dass sich sein ganzes Evangelium als ‚Passionserzählung mit ausführlicher Einlei­tung’ lesen lässt.“[6]

 

Wie Paulus ging es auch Markus nicht darum, die Biografie Jesu chronologisch und im Detail aufzuschreiben, sondern er wollte den Gemeinden mit einem theologischen Werk Orientierung in schwierigen Zeiten geben. Am Anfang des Evangeliums wird Johannes der Täufer vorgestellt, der aus dem Grunde von Bedeutung für den Evangelisten ist, weil er Jesus im Jordan taufte. Und als Jesus aus dem Wasser stieg, erfahren wir von Markus, tat sich der Himmel auf und der Geist kam wie eine Taube herab und eine Stimme vom Himmel verkündete: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (Markus 1,11) Jesus ist also in der Darstellung von Markus bei der Taufe von Gott als sein Sohn anerkannt worden. Die Geburt und die Kind­heit Jesu sind gegenüber diesem Ereignis nebensächlich. Würden wir heute nur das Markusevangelium kennen, gäbe es kein Weihnachten als Fest der Geburt Jesu, kein Dogma der Jungfrauengeburt und auch all die theologischen Debatten nicht, die aus den Darstellungen von Matthäus und Lukas über die Geburt und Kindheit Jesu entstanden sind. Aber auch die Markusdarstellung wirft Fragen auf, vor allem die Frage, ob Jesus erst bei der Taufe von Gott als Sohn adoptiert wurde, vorher ein Mensch wie jeder andere war.

 

„Das Reich Gottes ist herbeigekommen“

 

Markus kommt nach der Taufe und der Erwähnung eines vierzigtägigen Aufenthalts Jesu in der Wüste gleich zu einem zentralen Teil seines Evangeliums, den Predigten Jesu. Noch im ersten Drittel des ersten Kapitels lesen wir, was Jesus predigte: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Markus erwartete die baldige Wiederkehr Jesu. Darauf galt es sich vorzubereiten. Deshalb war es wichtig, die Botschaft Jesu in Erinnerung zu rufen und ebenso seine Leidensgeschichte und Auferstehung.

 

Der Theologe Ahn Byung-Mu gehörte in den 1970er und 1980er Jahren zu den führenden Vertretern der Minjung-Theologie in Südkorea, die angesichts des Leidens unter der Militärdiktatur und der wachsenden Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen die Bedeutung des Leidens Jesu neu durchdacht und erkannt haben. Über das erste Evangelium schrieb Ahn Byung-Mu in seinem Buch „Draußen vor der Tür“: „Das Markusevangelium zielt auf die Leidensgeschichte Jesu hin. Schon zu Beginn der Tätigkeit Jesu lag der Schatten des Todes auf ihm (Mk 3,6). Der Abschnitt Mk 8,27ff. bezeichnet die zweite Phase dieses Evangeliums. Von dort an wiederholt Jesus dicht aufeinander folgend dreimal die Ankündigung seines To­des … Der Sinn des Leidens wurde aber nach Markus während Jesu Leben nicht verstanden; erst durch die Erfahrung der Auferstehung wurde das Kreuzesge­sche­hen sinnfällig. Das Kreuz Jesu offenbart den leidenden Gott.“[7]

 

Jesu Verkündigung richtete sich an alle Völker, lautete eine zentrale Aussage im Markusevangelium. Die wachsenden Spannungen zwischen den Jesusanhängern und den jüdischen Synagogengemeinden spiegeln sich dadurch im Markus­evan­gelium wider, dass die Repräsentanten des Judentums so dargestellt werden, als hätten sie von Anfang an den Tod Jesu angestrebt, während die Rolle der Römer bei der Ermordung Jesu eher in den Hintergrund tritt. Ob Markus die Römer in seiner Darstellung „schonte“, um bei den politischen Machthabern nicht noch mehr Ablehnung gegenüber der Jesusbewegung auszulösen, wissen wir nicht. Aber bei allen Angriffen auf jüdische Autoritäten ist das Markusevangelium fest im Judentum verwurzelt und erwähnt gleich im zweiten Vers eine Prophezeiung Jesajas.

 

Die Freunde Jesu im einfachen Volk

 

Die Hirten sind im Markusevangelium nicht in Zusammenhang mit einer Geburtsgeschichte zu finden, wohl aber legte Markus in seinem Evangelium die Grundlage dafür, dass die Hirten als Vertreter des einfachen Volkes bei Lukas eine derart prominente Rolle in der Weihnachts­geschichte erhielten. Bei Markus kommt der Begriff óchlos, der „Pöbel“ oder das einfache Volk, 41 Mal vor. Dazu schreibt der koreanische Theologe Ahn Byung-Mu: „Die einzigen Freunde, die Jesus bedingungslos empfangen und ihm enthusiastisch folgen, sind nur der óchlos in Galiläa. In Zusammenhang mit diesem óchlos finden wir Begriffe wie Sünder, Zöllner, Kranke, Unterdrückte, Hungernde und Arme.“[8] Und dieser óchlos begegnet uns an einer ganz entscheidenden Stelle des Markusevangeliums, wo Jesus vom Volk umringt war und nicht seine leiblichen Verwandten als seine Familie bezeichnete, sondern die versammelte Gruppe einfacher Leute: „Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder.“ (Markus 3,34)

 

Zweifellos eine Provokation, der „Pöbel“ als die Gruppe von Menschen, die Jesu wahre Verwandte sind! Theologen, die diese Provokation abmildern wollen, verweisen auf den nächsten Vers: „Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Dieser Vers und nicht der vorangehende mit der Provokation ist denn auch in der heutigen Lutherbibel fett hervorgehoben. Aber das „denn“ bezieht sich zweifelsohne auf die „kleinen Leute“, die sich um Jesus versammelt hatten, und derart leicht können die heutigen Wohlhabenden und Reichen sich nicht darunter schmuggeln. Erleichtert werden sie feststellen, dass Matthäus in sei­nem Evangelium in seiner Darstellung der wahren Verwandten Jesu aus dem óchlos die Jünger gemacht hat (Matthäus12,49) und Lukas nur von „diesen“ spricht, die Gottes Wort hören und tun (Lukas 8,21).

 

Sind nun alle die, die zum „Pöbel“ gehören, nach Markus schon wegen ihrer Armut und ihres Elends die wahren Verwandten Jesu? Dazu schreibt Ahn Byung-Mu: „Man könnte den enthusiastischen Empfang des óchlos für Jesus als Frömmigkeit bezeichnen … Man könnte … vermuten, dass die Schar als Verlassene und Entfrem­dete in einer hilflosen Lage bei Jesus irgendeine neue Möglichkeit gesucht hat.“[9] Diese Menschen haben ihre Hoffnung in Jesus gesetzt, und der hat sich ihrer angenommen und sie zu seinen Verwandten erklärt. Diese hervorgehobene Stellung wird den Armen und Elenden immer wieder von Jesus zuerkannt, und es ist daher alles andere als ein Zufall, dass sie in Gestalt der Hirten bei Lukas schon in der Geburtsgeschichte eine so wichtige Rolle bekommen.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Vgl. Das Markusevangelium, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, www.wibilex.de

[2] Franz Joseph Schierse: Einführung in das Neue Testament, Düsseldorf 1978, S. 81

[3] Vgl. Theißen/Merz: Der historische Jesus, Göttingen 2001, S. 42

[4] Vgl. u. a. Siegfried Herrmann und Walter Klaiber: Die Schriften der Bibel, Stuttgart 1996, S. 210; Hubertus Halbfas: Die Bibel, a.a.O., S. 361

[5] Vgl. u. a. Franz Joseph Schierse: Einführung in das Neue Testament, Düsseldorf 2001, S. 78f.

[6] Hubertus Halbfas: Die Bibel, Düsseldorf 2001, S. 361

[7] Byung-Mu Ahn: Draußen vor dem Tor, Kirche und Minjung in Korea, Göttingen 1986, S. 17f.

[8] Ebenda, S. 28

[9] Ebenda, S. 30