Judäa im griechischen Einflussbereich

 

Mit dem Sieg Alexanders des Großen über die Perser wurde Judäa Teil eines neuen globalen Reiches, das bis zum heutigen Pakistan reichte. Das Reich zerfiel zwar nach dem Tode seines Gründers rasch wieder, aber der hellenistische Einfluss auf die ganze Region blieb erhalten.[1] Nicht nur griechische Siedler, Waren und technische Errungenschaften erreichten den ganzen Mittelmeerraum und die angrenzenden Regionen, sondern auch die griechischen religiösen und philosophischen Vorstellungen prägten Jahrhunderte lang das Leben und Denken und haben auch in den jüdischen und dann auch christlichen Theologien tiefe Spuren hinterlassen. Im Kampf um die geistige Vorherrschaft waren die griechischen Denker sehr viel erfolgreicher als die militärischen Führer nach dem Tode Alexanders des Großen.

 

Die jüdischen Priester und Propheten wurden von den griechischen philosophischen und religiösen Vorstellungen beeinflusst, setzten sich aber auch kritisch mit ihnen auseinander, und das war schon deshalb notwendig, weil es neben den jüdischen Diasporagemeinden in vielen Städten des östlichen Mittelmeers auch große griechische Bevölkerungsgruppen gab, die ihre religiösen Vorstellungen mitbrachten und vertraten. Die jüdische Bevölkerung mit ihrem Beharren auf den Glauben an den einen Gott bildete eine zwar nicht isolierte, aber doch getrennte Bevölkerungsgruppe in den großen Städten, in denen der Synkretismus, also die Vermischung von Religionen, alltäglich war. Bei der Frage, wie sich das Christentum heute auf dem „Markt der Religionen“ behaupten kann, lässt sich sicher etwas von den jüdischen Diasporagemeinden der Antike lernen.

 

Jerusalem blieb das geistliche Zentrum für alle Jüdinnen und Juden, viele kamen aber nie in ihrem Leben an diesen Ort. Deshalb entstand die Tradition, an den einzelnen Orten Synagogen zu errichten, in denen sich die Gemeinden am Sabbat zu Schriftlesung und Gebet versammelten. In den Diasporagemeinden schwanden allmählich die Kenntnisse der hebräischen Sprache, aber der Glaube an den einen Gott und die Tora bewahrten die Verbindung zu den anderen jüdischen Gemeinschaften und vor allem nach Jerusalem.

 

Die Ähnlichkeit mit heutigen Migrantengemeinden in allen Teilen der Welt ist auffällig. Gerade in der Fremde wird auf den Assimilationsdruck mit einem um so entschlosseneren Festhalten an der Kultur und dem Glauben der ursprünglichen Heimat reagiert. Aber neben der Abgrenzung besteht die Notwendigkeit und Chance, sich mit der herrschenden Religion und Philosophie auseinanderzusetzen. So entstand im Judentum eine religiöse Bewegung, die sich darum bemühte, die Elemente der griechischen Philosophie, die sich mit dem eigenen Glauben in Einklang bringen ließen, zu adaptieren und so die eigenen religiösen Ideen fortzuentwickeln. Das interreligiöse Gespräch verändert auch die eigenen religiösen Vorstellungen und Überzeugungen, dies lässt sich in der Antike offenbar vor allem für das Judentum in der nordafrikanischen Diaspora nachweisen.

 

In Judäa kam es derweil zu dramatischen politischen und in der Folge auch religiösen Veränderungen und Konflikten. 198 v. Chr. hatte sich die Machtkonstellation zwischen den globalen Mächten erneut verändert, und die Seleuziden übernahmen die Herrschaft in Jerusalem und Umgebung.[2] Sie wurden von vielen Kreisen der Stadt erfreut begrüßt, denn sie zeigten sich zugänglich für die religiösen und sozialen Wünsche der jüdischen Bevölkerung. So wurde es zum Beispiel Nichtjuden verboten, den Tempel zu betreten. Aber schon nach einem Jahrzehnt veränderten sich die Verhältnisse, weil das Römische Reich seinen langen Schatten bis in den Herrschaftsbereich der Seleuziden ausdehnte und diese tributpflichtig machte. Um die Tributzahlungen aufzubringen, mussten diese ihren Untertanen schwere finanzielle Lasten auferlegen. Ähnlichkeiten mit den Regierungen afrikanischer Länder, die ihren Bürgern zur Begleichung ihrer Schulden im Ausland immer mehr Steuern aufbürden, drängen sich auf. Die Seleuziden gingen in ihrer Geldnot so weit zu versuchen, Tempelschätze zu plündern, was natürlich den Widerstand der örtlichen Bevölkerung in den einzelnen Regionen ihres Reiches hervorrief. Wie heute in armen Ländern führte die Ausplünderung durch den Staat zu einer Erosion aller sozialen Strukturen und nicht einmal der Tempel war davor bewahrt. Ein Tiefpunkt wurde erreicht, als das Hohepriesteramt an einen Mann fiel, der sich dieses Amt durch eine hohe Zahlung erkaufte – und die große Summe dann nur dadurch aufbringen konnte, dass er den Tempelschatz plünderte.[3]

 

Die Rebellion des Volkes gegen die Ausplünderung wurde damit beantwortet, dass der Tempel entweiht und in einen Tempel für den Gott Zeus Olympios umgewandelt wurde. Religiöse Bewegungen innerhalb des Judentums, die angesichts der Schrecken der Welt eine Apokalypse vorhersagten, gewannen in dieser Situation an Bedeutung. Politisch gewannen die Kräfte an Einfluss, die durch den bewaffneten Kampf ein Ende der Fremdherrschaft erreichen wollten. Unter der Führung von Makkabäus gelang es den Aufständischen, die Besatzungstruppen überraschend anzugreifen und vernichtend zu schlagen. Jerusalem konnte erobert und der Tempel gereinigt und neu geweiht werden.

 

Nach weiteren Kämpfen kam es zum Friedensschluss mit den Seleuziden, der Judäa einen erheblichen Grad von Autonomie sicherte. Große Teile der herrschenden Schicht in Jerusalem arrangierten sich daraufhin mit den seleuzidischen Herrschern, während kleinere Gruppen den Aufstand fortsetzten. Es folgten chaotische Zeiten, bis zu dem Punkt, dass einige jüdische Gruppen den syrischen König zur Hilfe riefen, während andere Gruppen die Römer beschworen, auf ihrer Seite in die Auseinandersetzungen einzugreifen. Aber der Versuch, die Großmächte gegeneinander auszuspielen und für die eigenen Interessen nutzbar zu machen, ist damals – wie später noch häufig – gescheitert. Das Ergebnis war, dass römische Legionäre im Jahre 63 v. Chr. in Jerusalem einzogen und aus dem gelobten Land einen von Rom total abhängiger Kleinstaat machten.

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Gott und die Götter der Globalisierung - Die Bibel als Orientierung für eine andere Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. Hubertus Halbfas: Die Bibel, Düsseldorf 2001, S. 317ff.

[2] Vgl. Karl Jaroš: Jesus von Nazareth, Geschichte und Deutung, Mainz 2000, S. 1ff.

[3] Vgl. Siegfried Herrmann, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, in: Siegfried Herrmann/Walter Klaiber: Die Geschichte Israels, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1996, S. 142