Themen afrikanischer Theologie

 

„Nur ein Narr oder ein Blinder würde noch etwas entdecken, was Anlass zur Hoffnung in Afrika sein könnte.“[1] So begann Walter M. Makhulu 1997 einen Aufsatz über die Frage der Hoffnung in Afrika. Er zählt dann viele Probleme des Kontinents auf, die zu Hoffnungslosigkeit veranlassen könnten, sieht aber trotz des Eingangssatzes dann doch noch Hoffnung für Afrika. Sie kommt von einzelnen positiven Entwicklungen wie dem Sturz von Diktatoren in verschiedenen afrikanischen Ländern, vor allem aber auf die biblische Verheißung. Makhulu zitiert hierfür Römer 8,24-25: „Denn wir sind zwar gerettet, aber auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung, denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht. Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“

 

Für Bischof Makhulu ist dieses Hoffen keinesfalls ein Anlass zum Fatalismus, sondern Grund zum Engagement für die Veränderung der Verhältnisse. Er schreibt: „Der Akt des Hoffens selbst ist ein Akt des Widerstandes. Es ist eine Bekräftigung der Werte des Reiches Gottes und der Überzeugung, dass die Erde des Herrn ist.“[2]

 

Dass viele Afrikanerinnen und Afrikaner trotz aller deprimierenden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte die Hoffnung auf ein anderes, ein besseres Leben nicht aufgegeben haben, ist erstaunlich und für sich genommen eines der stärksten Argumente dafür, dass Afrika kein „hoffnungsloser Fall“ ist. Dazu noch einmal Musimbi Kanyoro: „Das größte Erbe Afrikas ist die Hoffnung. Wir sind ein Kontinent der Geduld und der Entschlossenheit, wir sind Menschen, die eine Spiritualität des Nicht-Aufgebens hegen und pflegen. Diese Spiritualität kommt am besten darin zum Ausdruck, wie wir die Bibel lesen; wir eignen uns die Worte der Bibel an und nehmen an, dass wir die Zuhörerschaft sind, die angesprochen werden soll ... Die Wirklichkeit der christlichen Gemeinschaften in Afrika beruht in sehr starkem Maße auf der Interaktion von biblischem Text und unserer kulturellen Lebenserfahrung. Unser kulturelles Erbe ist in der Tat die Grundlage für unser gemeinsames Verständnis davon, wer wir sind und was dies bedeutet.“[3]

 

Wenn es um die Bewahrung und Festigung des Zusammenlebens in der Gemeinschaft geht, sehen afrikanische Christinnen und Christen sich ganz in der Tradition der Bibel.[4] Das prägt auch die afrikanische Theologie, und diese Gemeinschaft schließt nicht nur die Lebenden ein, sondern auch die Verstorbenen und die zukünftigen Generationen sowie die ganze Schöpfung.

 

Daraus erwächst ein kritisches Potenzial gegenüber der vorherrschenden Globalisierung, wie der kenianische Theologe Samuel Kobia herausstellt: „Die Ganzheit und Fülle des menschlichen Lebens und der übrigen Schöpfung ist eine Vision, die alle und alles mit einzubeziehen verspricht; und als solche ist sie eine Infragestellung des Prozesses der Globalisierung, der dazu neigt, Ausgrenzung und Fragmentierung zu fördern. Es ist eine Vision, die sich die afrikanische Sicht zu eigen macht, nach der der Wert der einzelnen Menschen nicht an ihrer Konsumfähigkeit gemessen wird, sondern an der Qualität ihrer Beziehungen untereinander und zu ihren Mitmenschen. Darum kann jeder vertrauensvoll sagen: ‚Ich bin, weil wir sind. Und da wir sind, bin auch ich.’ Das bedeutet, dass Fülle des Lebens nicht nur Sicherheit für eine kleine Minderheit, sondern für alle verspricht, ebenso wie die ganze Herde genug Futter auf Gottes Weideland findet.“[5]

 

Ein weiteres zentrales Thema kirchlichen Handelns und theologischen Nachdenkens in Afrika ist Versöhnung. Dazu haben die Initiativen beigetragen, in Südafrika nach dem Ende der Apartheid zu einem Ende der Konfrontation von Schwarz und Weiß zu kommen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die sich um diese Aufgabe bemühte, wurde von dem Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu geleitet. Er war bestrebt, Opfern und Tätern die Möglichkeit zu geben, in der Öffentlichkeit ihre Geschichte zu erzählen und die Täter zu Worten der Reue zu ermutigen. Manche der Opfer waren auch bereit, den Tätern zu verzeihen. Desmond Tutu schreibt über den Prozess der Versöhnung: „Das Geständnis des Übeltäters und die Vergebung des Opfers bedeuten nicht das Ende des Prozesses. Meistens hat das Übel das Opfer auf sehr greifbare, materielle Weise verletzt. Die Apartheid versorgte die Weißen mit enormen Vorteilen und Privilegien und ließ die Opfer beraubt und ausgebeutet zurück ... Geständnis, Vergebung und Wiedergutmachung, wo auch immer machbar, stellen eine Einheit dar.“[6]

 

In der Praxis stellt sich dieser Versöhnungsprozess als schwierig dar und hat auch Kritik gefunden.[7] Aber er ist doch ein Beispiel dafür, wie die Einsicht aus dem Glauben, dass nur Versöhnung den Weg in eine friedliche Zukunft öffnet, in praktisches Handeln umgesetzt wird. Diese theologische Debatte zur Versöhnung wird inzwischen verstärkt auch in anderen afrikanischen Ländern geführt, und zwar vor allem in Konfliktregionen wie dem Sudan.[8]

 

Zu wenig wird bisher theologisch darüber reflektiert, wie eine Versöhnung zwischen Staaten und vor allem zwischen dem Norden und dem Süden der Welt ins Leben gerufen werden kann. Angesichts der Ausbeutung und Unterdrückung der letzten Jahrhunderte und der Gegenwart ist aber eine globale Gemeinschaft nicht möglich, wenn keine Versöhnung zwischen Tätern und Opfern erreicht wird. Die Erfahrungen der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission und anderer Versöhnungsinitiativen in Afrika können für diesen Prozess nutzbar gemacht werden, beginnend mit der Einsicht, dass die Kraft Gottes von zentraler Bedeutung ist, damit Versöhnung gelingt.[9]

 

Eine wichtige Voraussetzung für die Überwindung der wirtschaftlichen Misere Afrikas ist die Beseitigung der oft gewaltsam ausgetragenen Konflikte, wobei das Dilemma darin besteht, dass diese Konflikte gerade deshalb eskalieren, weil Armut und Verzweiflung so groß sind. Es sind auch in dieser Hinsicht vor allem die Frauen, in die Hoffnung gesetzt werden kann. Sarah Namusoke, Theologin und Mitglied des ugandischen Parlaments, hat dazu ausgeführt: „Vielleicht besteht der größte und herausforderndste Beitrag der afrikanischen Frauen zu Gottes Mission der Gerechtigkeit und Würde in ihrer Rolle in Konfliktsituationen ... Männer zeigen oft keine Bereitschaft, Verantwortung für das Leben der Menschen zu übernehmen, die von ihnen abhängig sind. Aber Frauen haben dieses Gefühl der Verantwortung, und ebenso eine Achtung vor menschlicher Würde und für Entwicklung und Patriotismus. Die Rolle der Frauen in afrikanischen Gemeinschaften – vor allem die Sorge für Kinder, Kranke und Alte – erfordert, dass sie Interesse an anderen entwickeln. Von der Kindheit an werden Frauen dazu erzogen, geduldig und tolerant zu sein, und beides ist für die Lösung von Konflikten von entscheidender Bedeutung.“[10] So tragen Frauen ganz entscheidend auch zum Erfolg kirchlicher Programme zur Konfliktlösung bei.

 

Der Erlass von Schulden, das Gnadenjahr, wird als Schritt auf dem Weg zur Versöhnung verstanden. Dazu schreibt Sebastian Bakare: „Ein wichtiges Merkmal dieses Gnadenjahrs ist der Geist der Versöhnung. Das Erlassjahr sollte Gelegenheit geben, zerbrochene zwischenmenschliche Beziehungen und die Beziehung zu Gott wiederherzustellen, die messianische Hoffnung miteinander zu teilen und die Trauernden zu trösten (vgl. Jes 40). Außerdem ging es darum, sich erneut den Bedürfnissen der Armen und jener zuzuwenden, die bei ungerechten Abmachungen – z. B. den Gesetzen, die Schuldner ihres Landes und damit ihrer Lebensgrundlage beraubten und sie folglich zu Sklaven machten – auf der Verliererseite standen. Das Erlassjahr war ferner eine Zeit der Versöhnung. Täter und Opfer wurden aufgefordert, Buße zu tun und zu vergeben, einander als Gleiche zu behandeln und einander Gelegenheit zum Neuanfang zu geben.“[11]

 

Wie weit sind die gegenwärtigen Verhandlungen über einen Schuldenerlass von einem solchen Verständnis und Geist des biblischen Erlassjahres entfernt! In diesen Verhandlungen ist nur in einem sehr oberflächlichen Sinne von „Partnern“ die Rede, die sich aber nicht als Gleiche begegnen, und bei dem es einseitig um einen Neuanfang der armen Länder geht, dass die reichen Länder einen Neuanfang benötigen könnten, ist kein Thema der Verhandlungen. Deutlich ist auch, dass die ökonomische Globalisierung auch auf diesem Gebiet die Tendenz verstärkt hat, das Leben auf wirtschaftliche Interaktionen zu reduzieren. Von zwischenmenschlichen Beziehungen ist bei der Entschuldung selten die Rede, wenn es konkreter wird, und die Beziehungen zu Gott kommen ohnehin nur noch selten vor. Christinnen und Christen in Afrika haben ein umfassenderes Verständnis vom Erlassjahr, und von diesem Verständnis können wir viel lernen, wenn wir eine wirkliche ökumenische Gemeinschaft anstreben. Es geht um eine andere Globalisierung. Sebastian Bakare: „Das Erlassjahr ist ein eschatologischer Vorgeschmack eines himmlischen Lebens, in dem Frieden, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Liebe herrschen, also alles, was das Leben sinnvoll und lebenswert macht.“[12]

 

Vor allem im Umfeld der Allafrikanischen Kirchenkonferenz entstand in den letzten Jahren eine „Theologie des Wiederaufbaus“ (theology of reconstruction). Der tansanische Theologe Wilson B. Niwagila hat diese Theologie so begründet und beschrieben: „Die sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten innerhalb und außerhalb haben viele Afrikaner in den Zustand der Verwirrung (Konfusion) gebracht. Sie stehen einem großen Widerspruch gegenüber zwischen afrikanischen spirituellen Werten und dem materialistischen Geist, der die Welt heute beherrscht. Dieser Antagonismus ist der eigentliche Grund unserer Krise, sowohl für den Einzelnen und die Familien als auch für die christlichen Gemeinschaften und für die gesamte afrikanische Gesellschaft. Deshalb ist das beste theologische Wort, um die neue Situation in Afrika und dem Rest der Welt zu beschreiben, Wiederaufbau ... Theologie des Wiederaufbaus berührt alle Gebiete des Lebens. Sie erkennt die ursprünglichen Grundlagen (Fundamente). Sie erkennt alle Gebiete der Theologie und will mit ihnen zusammenarbeiten, um Christus bekannt zu machen. Sie ermutigt zum Lesen der Bibel, um neue Metaphern (Bilder) zu finden. Sie äußert sich zum politischen, sozialen, ökonomischen und religiösen Wiederaufbau. Sie fordert Theologen – sowohl im Lehramt wie im Gemeindedienst – heraus, immer neue Metaphern in der Bibel und neue relevante Wege zu finden, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind.“[13]

 

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Gott und die Götter der Globalisierung - Die Bibel als Orientierung für eine andere Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

  

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Walter M. Makhulu: Hoping against Hope?, The Ecumenical Review, Oktober 1997, S. 411ff.

[2] Ebenda, S. 415

[3] Musimbi Kanyoro: Reading the Bible from an African Perspective, in: The Ecumenical Review, Januar 1999, S. 18f.

[4] Vgl. hierzu u. a.: Mercy Amba Oduyoye: Wir selbst haben ihn gehört, a. a. O., S. 158ff.

[5] Samuel Kobia: Entwicklung anders betrachtet, in: epd Entwicklungspolitik, 4/2001, S. 33

[6] Desmond Tutu: Keine Zukunft ohne Versöhnung, Düsseldorf 2001, S. 225

[7] Vgl. zu dieser Diskussion: Tinyiko Sam Maluleke: Sechs Thesen zum südafrikanischen Experiment der Versöhnung und innergesellschaftlichen Vergebung, in: Ökumenische Rundschau, 4/2000, S. 462ff.

[8] Vgl. hierzu u. a. den Beitrag „Hear the parable of the Bamboo“ von Paride Taban,

Bischof der katholischen Diözese Torit im Sudan in der Ausgabe vom Oktober 1997 der

Zeitschrift „The Ecuemnical Review“.

[9] Vgl. ebenda, S. 462

[10] Sarah Namusoke: Africa’s women participation in God’s mission for justice and dignity, in: International Review of Mission, Oktober 1998, S. 480ff.

[11] Sebastian Bakare: Trommeln des Lebens, Genf 1998, S. 7f.

[12] Ebenda, S. 9

[13] Wilson B. Niwagila: Neue Entwicklungen in afrikanischer Theologie, in: VEM-Mitarbeiterbrief, 9/1999, S. 22