Das Buddenbrookhaus in Lübeck
Das Buddenbrookhaus in Lübeck, in dem der berühmte Roman spielte Foto: iStock.com/klug-photo

Thomas Mann - Weihnachtsfeste bei den Buddenbrooks

 

„Ich werde die Liebe zu den Zaubern des Weihnachtsfestes nie verlernen. Dieser Tag, dieser heiter geheiligte Abend, der aus Kinderaugen blickt, der die Kruste des Alltags von unseren Herzen löst und ein Lächeln menschlicher Rührung und Freude auf allen Gesichtern hervorruft, er ergreift mich heute, wie es mich als Knabe ergriff und beglückte.“[1] Das schrieb Thomas Mann 1924 für eine ungarische Tageszeitung zum Thema „Weihnachtsstimmung“. Und diese Weihnachtsstimmung wurde immer wieder zum Thema des Schriftstellers.

 

Am 6. Juni 1875 wurde Thomas Mann in eine wohlhabende Lübecker Kaufmannsfamilie hineingeboren. Sein Vater war Lübecker Senator, seine Mutter brasilianischer Abstammung. Mit seinen vier Geschwistern wuchs Thomas Mann wohlbehütet auf und hat seine Kindheit später als glücklich bezeichnet. In einem Brief vom 2. Januar 1890 beschrieb Thomas Mann das zurücklie­gende Weihnachtsfest: „Wir haben hier in Lübeck ein sehr fröhliches Weihnachtsfest gehabt und erhielten alle schöne Geschenke sowohl von Mama und Papa, als auch von Großmama.“[2] Aber im darauffolgenden Jahr starb der Vater, das Handelsunternehmen wurde aufgelöst und das Haus der Familie verkauft. Zwar wurde das Geld so angelegt, dass Witwe und Kinder materiell sorgenfrei leben konnten, aber dennoch musste der heranwachsende Sohn erkennen, wie rasch ein Absturz von einem erfolgreichen Familienunternehmen zum wirtschaftlichen Aus passieren konnte – ein Hauptmotiv seines späteren Romans „Buddenbrooks“. Und wie die Romanfigur Han­no Buddenbrook hatte auch der spätere Schriftsteller erhebliche Schwie­rigkeiten in der Schule und ging vorzeitig von der renommierten Gelehrtenschule Katharineum ab. Da stand für den Jugendlichen bereits fest, dass er Schriftsteller werden wollte.

 

Thomas Mann zog nach München, wo seine Mutter und seine Geschwister inzwischen lebten. Sein Vormund, der nach dem Tod seines Vaters für ihn bestimmt worden war, bestand darauf, dass der junge Mann erst einmal einen bürgerlichen Beruf erlernen musste, und aus diesem Grunde fand sich Thomas Mann bald in einer Feuerversicherungsgesellschaft wieder. 1894 veröffentlichte der Bruder Heinrich Mann seinen ersten Roman „In der Familie“. Das spornte den jüngeren Bruder Tho­mas an, und im gleichen Jahr erschien nach einigen kleineren literarischen Arbeiten die erste Novelle mit dem Titel „Gefallen“. Sie wurde von der Kritik positiv aufgenommen, und der junge Schriftsteller erhielt von verschiedenen Zeitschriften weitere Aufträge. Deshalb entschloss er sich 1895, seine Stelle bei der Versicherung aufzugeben, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Das fiel ihm leichter, als er ein Jahr später 21 Jahre alt wurde und von nun an monatlich 180 Goldmark aus den Zinsen des väterlichen Vermögens erhielt.

 

1897 folgte Thomas Mann seinem Bruder Heinrich nach Italien, wo er die Arbeit an seinem Roman die „Buddenbrooks“ fortsetzte. Aber zunächst erschienen neue Novellen und eine Sammlung der Novellen. Nach der Rückkehr aus Italien wurde der junge Schriftsteller 1898 als Lektor bei einem Münchener Verlag eingestellt, der unter anderem die satirische Wo­chenzeitung „Sim­plicissimus“ herausgab. Thomas Mann liebte die Mischung von humorvoller und bissiger Gesellschaftskritik. Unter den Texten des jungen Schriftstellers, die in der Zeitung erschienen, war in der Weihnachtsausgabe 1899 das „Weihnachtsgedicht“:

 

O festlich Sternenzelt!

Du breitest dich ob meiner Einsamkeit

Und schirmest weithin die gesühnte Welt.

Sanft glitzernde Gefild!

Dein Friedenszauber füllt mein ganzes Herz,

Dass es in Rührung und Beschämung schwillt:

O weiße Weihnacht!

In mildem Leuchten liegt ein heilig Kind.

Des Lächeln alles Leid zur Glorie macht![3]

 

Es ist eines von kaum mehr als einem halben Dutzend Gedichten, die Thomas Mann veröffentlicht hat. Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel hat sich in seinem Buch „Weihnachten bei Thomas Mann“ ausführlich mit diesem Gedicht beschäftigt und es im Kontext der gesamten Weihnachtsausgabe des „Simplicissimus“ interpretiert. Er kommt zum Ergebnis: „Das Gedicht erweist sich somit als komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Es ist – nimmt man Paralleltexte von zeitgenössischen Poeten und den Kontext der ‚Simplicissimus’-Ausgabe zum Vergleich – mehr als bloße Stilkonvention der Zeit. Der Autor hat offenbar schon früh ein Ge­spür dafür, dass das so emotional aufgeladene Thema ‚Weihnacht’ eines anderen Tons bedarf, um literarisch glaubwürdig zu sein. Hoch emotional aufgeladene Ereignisse bedürfen eher der kargen Diktion, einer eher lapidaren Sprache, um noch Wirkung entfalten zu können.“[4]

 

Die Buddenbrooks – der Niedergang einer Kaufmannsfamilie

 

1901 erschien der Roman, mit dem Thomas Mann weltberühmt wurde, „Buddenbrooks“ mit dem Untertitel „Verfall einer Familie“. Dass sich in dem Roman einige seiner eigenen Familienmitglieder und Lübecker Bürgerinnen und Bürger wiedererkannten, trübte das Verhältnis des Schriftstellers zu seiner Heimatstadt und auch zu jenen Verwandten, die es nicht schätzten, zu Romanvorlagen gewor­den zu sein. Das „Vorbild“ von Christian Buddenbrook, Friedrich Wilhelm Lebrecht Mann, protestierte sogar in einer Anzeige in einer Lübecker Zeitung dagegen, dass Thomas Mann im Roman seine nächsten Verwandten in den Schmutz gezogen hätte. Das konnte den Erfolg der „Buddenbrooks“ aber nicht bremsen. Der Roman ist mittlerweile in über 30 Sprachen übersetzt worden, und allein die deutschspra­chigen Ausgaben erreichten eine Auflage von mehr als neun Millionen Exemplaren.

 

Am Anfang des Romans steht der Aufstieg der Kaufmannsfamilie durch die Tatkraft von Johann Buddenbrook in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Getreide groß händler und Heereslieferant war so erfolgreich, dass er einer in Konkurs gegangenen Lübecker Kaufmannsfamilie das repräsentative Geschäfts- und Wohnhaus in der Mengstraße abkaufen konnte, das zum Stammsitz der Buddenbrooks wurde. Der Sohn Jean setzte die erfolgreiche Tätigkeit des Vaters fort und genoss als Königlich-Niederländischer Konsul hohes Ansehen. Er verband kaufmännischen Erfolg mit pietistischem Glauben, den seine Frau Elisabeth teilte, während die Kinder Thomas, Tony und Christian andere Wege einschlugen, aber nach dem Tod ihres Vaters die Weihnachtstraditionen aufrechterhielten, solange ihre Mutter, die Konsulin, lebte.

 

Bei den Feiern des Weihnachtsfestes zeigte sich besonders eindrücklich und erschreckend, wie der unaufhaltsam erscheinende Niedergang der Familie Buddenbrook voranschritt, auch wenn Jean Buddenbrook sich von ersten wirtschaftlichen Rückschlägen noch erholen konnte. Thomas Mann hat sich bei diesen Weih­nachts­darstellungen von den Feiertagen in seiner großbürgerlichen Familie in­spirieren lassen. Besonders in die Darstellung, wie der kleine Hanno Buddenbrook das Weih­nachtsfest erlebte, sind eigene Kindheitserinnerungen eingeflossen.

 

Beim ersten Weihnachtsfest, das im Roman beschrieben wird, lebte der alte Konsul Jean Buddenbrook noch, und die tiefe Feierlichkeit war noch ungetrübt. Zu diesem großbürgerlichen Fest gehörte es, dass alte und arme Leute in das Haus des Kaufmanns eingelassen wurden, denn sie erhielten an diesem Tag Geschenke. Den Armen musste geholfen werden, wenigstens am Weihnachtstag. Den Rest des Jah­res ging es um Soll und Haben, und in diese Welt wollte Jean Buddenbrook auch seine Söhne einführen. Thomas wurde nach Amsterdam geschickt, der jüngere Bru­der Christian nach London, von wo aus er sich nach Valparaiso in Chile einschiffte. Thomas Buddenbrook kam mit vielen nützlichen Erfahrungen aus den Niederlan­den zurück und stieg tatkräftig in das Familienunternehmen ein. Bei einer späteren Reise in die Niederlande kehrte er mit seiner Braut Gerda zurück, die aus einer reichen niederländischen Kaufmannsfamilie stammte. Thomas Buddenbrook kam in seiner Heimatstadt zu Ansehen und wurde sogar zum Senator der Stadt gewählt.

 

Christian Buddenbrook hingegen kehrte als entwurzelter Mensch aus Chile zurück, der auch in dem nun von seinem Bruder geleiteten Familienunternehmen keinen rechten Platz und keinen Erfolg hatte und schon früh zu einer gescheiterten Exi­stenz wurde. Die Schwester Tony wurde von den Eltern in eine Ehe mit einem Hamburger Kaufmann gedrängt, aber ihr Mann scheiterte finanziell und auch die Ehe zerbrach. Eine zweite Ehe endete ebenfalls mit einer Scheidung, und so blieb Tony Buddenbrook nichts übrig, als auf Dauer in das Haus der Buddenbrooks zu­rückzukehren.

 

Die Fassade bröckelt

 

Bei der zweiten Weihnachts­beschreibung des Romans erlebte Hanno, das einzige Kind des Senators Tho­mas Buddenbrook, ein Weih­nachtsfest, bei dem die Fa­mi­lien­tra­ditionen gewahrt, aber die Fassade nur noch ganz mühsam aufrechtzuerhalten war und unübersehbar zu bröckeln begann. Am Anfang dieses Weihnacht­s­­festes erwartete Hanno „pochenden Her­zens das Nahen der unvergleichba­ren Zeit“.[5] Den Heiligen Abend, erfahren wir, „hielt die Konsulin fest im Besitz“.[6] Das „weihevolle Programm“, das der verstorbene Konsul festgesetzt hatte, „musste aufrechterhalten wer­­den, und das Gefühl ihrer Verantwortung für den würdigen Verlauf des Abends, der von der Stimmung einer tiefen, ernsten und inbrünstigen Fröhlichkeit erfüllt sein musste, trieb sie rastlos hin und her …“[7]

 

Dabei gab es im Hause Buddenbrook längst keinen Anlass zu Fröhlichkeit mehr, aber umso inten­siver musste versucht werden, das Weihnachtsprogramm zu zelebrieren. Erst in letzter Minute fiel auf, dass Christian Buddenbrook fehlte, den man wohl getrost als „schwarzes Schaf“ der Familie bezeichnen kann. Aber auch Christian durfte bei dem Weihnachtsprogramm nicht fehlen, es wurde nach ihm geschickt, und als er endlich erschien, machte er die Bemerkung: „Donnerwetter, Kinder, das hätte ich beinahe vergessen!“[8] Das Weihnachtsfest vergessen, die Konsulin erstarrte, aber die Feier begann schon mit dem Gesang der Chorknaben „Tochter Zion, freue dich!“. Die Jungen, die kurz vorher noch ihr Allotria getrieben hatten, sangen nun so „rein, ju­belnd und lobpreisend“, dass bei den älteren Damen ein mildes Lächeln zu sehen war und die Jüngeren für ein Weilchen ihre Sorgen vergaßen.

 

Hanno hatte einen Gesichtsausdruck, als friere er, und bei dem Gesang „zog sein Herz sich in einem fast schmerzhaften Glück zusammen“.[9] Nachdem der letzte Ton des Gesangs verklungen war, setzte sich die Konsulin auf das Sofa und las die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vor, aus einer kolossalen Bibel, die mit ledernen Spangen verschlos­sen war, und wo dort ein Zeichen lag, wo die Geschichte zu finden war. Kein Zweifel, diese Bibel war meist verschlossen und nur diese eine Geschichte wurde einmal im Jahr gelesen, als Teil des festgelegten Weihnachts programms.

 

Nach der Lesung sangen die Chorknaben das Lied von der Stillen Nacht. Und danach zog die Gesellschaft feierlich in den festlich geschmückten Saal. Allerdings, ganz feierlich ging es dieses Mal nicht zu, weil Christian Buddenbrook die Kinder zum Lachen brachte, indem er beim Marschieren die Beine wie ein Hampelmann be­wegte und dazu auf alberne Weise „O Tannebaum“ sang. Aber auch das konnte das vorgegebene Programm nicht nachhaltig stören, denn nun blickten alle auf den großen, festlich geschmückten Weihnachtsbaum und auf die lange Tafel mit den Geschenken. Vorbei an der Krippe mit dem Jesuskind aus Wachs defilierte man durch den Saal, bis alle bei ihren Geschenken angelangt waren. Hanno stand vor dem sehr großen Puppentheater, dazu erhielt er von der Konsulin ein Harmonium, ein „Überfluss von Glück“.

 

Aber dieses Glück bekam im Roman Thomas Manns einen merkwürdigen Beigeschmack, wenn wir lesen, dass dann und wann jemand vorbeikam und die Geschenke des Jungen mit „ironisch übertriebener Bewun­derung in Augenschein“ nahm. Nur sein Onkel Christian schien echtes Interesse an dem Puppentheater zu zeigen, aber dann äußerte er über das Theater: „Hat es solchen Eindruck auf dich gemacht? … Hör mal, Kind, lass dir raten, hänge deine Gedanken nur nicht zu sehr an solche Sachen … Theater … und so was … Das taugt nichts, glaube deinem Onkel. Ich habe mich auch immer viel zu sehr für diese Dinge interessiert, und darum ist auch nicht viel aus mir geworden.“[10]

 

Und dann, als hätte er diese Sätze nie gesagt, bewegte er eine Figur auf der Bühne vorwärts, sang und gab Ausschnitte aus einer Oper zum Besten, zum Vergnügen Hannos und unter dem Lachen anderer Anwesender. Aber als er den Gesang plötzlich abbrach, zerstreuten sie sich gleichgültig. Christian Buddenbrook blieb noch einen Augenblick bei dem Puppentheater und sprach mit Hanno, dann rief er den Erwachsenen zu: „Ich geh noch ein bisschen in den Club! Da feiern sie auch Weihnachten heut. Auf Wiedersehen.“[11] Er verließ die Bühne. Die Zurückgebliebenen speisten üppig. Da hatte sich auch Hanno bereits von der Gesellschaft verab­schiedet, war allein zurück im Saal geblieben und hatte sich in sein gerade erhaltenes Mythologiebuch ver­tieft.

 

 

Kurz vor dem abendlichen Essen kehrte Chris­tian Buddenbrook von der Weihnachtsfeier der Junggesellen aus dem Club zurück und fiel erneut durch unpassende Bemerkungen auf, bevor die Gesellschaft sich zum abendlichen Festmahl begab. Nach einem Tischgebet hielt die Konsulin eine kurze Ansprache, in der sie die Anwesenden dazu auffor­derte, all derer zu gedenken, „die es an diesem Heiligen Abend nicht so gut hätten wie die Familie Buddenbrook“. [12] So ähnlich waren wohl auch die Ansprachen gewesen, die ihr verstorbener Mann gehalten hatte, aber inzwischen ging es den Buddenbrooks trotz der zur Schau gestellten weihnachtlichen Pracht längst nicht mehr gut. „Und als dies erledigt war, setzte man sich mit gutem Gewissen zu einer nachhaltigen Mahlzeit nieder“, setzt Thomas Mann die Weihnachtsbeschreibung fort.

Die Wirklichkeit holte die Familie rasch ein. Als Senator Thomas Buddenbrook ein paar Schuppen des Karpfens in sein Portemonnaie schob, damit das Geld nicht ausgehen sollte, bemerkte sein Bruder Christian trübe, das helfe ja doch nichts. Über den drohenden wirtschaftlichen Absturz konnte auch nicht hinwegtäuschen, dass die Festgesellschaft feststellte, dass der gefüllte Puter seit langer Zeit der größte war.

 

In das feierliche Mahl hinein meldete sich Christian Buddenbrook zu Wort und erzählte von der Weihnachtsfeier in seinem Club: „Du lieber Gott!“ – von dem war an diesem Weihnachtsabend bisher selten die Rede, aber Christian fuhr unweihnachtlich fort: „Die Kerls tranken Schwedischen Punsch wie Wasser!“[13] Die Kon­sulin reagierte mit einem „Pfui“ und schlug die Augen nieder.

 

Der Thomas Mann-Fachmann Professor Karl-Josef Kuschel hat über diese Weihnachtsdarstellung geschrieben: „Alles ist noch vorhanden in dieser Weihnachts-Welt, aber alles ist längst schon nicht mehr echt. Alles ist nur noch inszeniertes Spiel. ‚Weihnachten’ ist zur Kulissenwelt geworden, zur Selbst- und Fremdtäuschung aufgebaut. Die Personen kommen wie eh und je zusammen, aber sie agieren wie Schauspieler auf einer Bühne. Hannos sehnlichster Weihnachtswunsch ist nicht zufällig ein ‚Theater’, ein Theater für Puppen. Er bekommt es geschenkt, ebenso wie ein Musikinstrument, ein Harmonium, und ein Buch über griechische Mythologie. Und genau so lässt der Autor seine Figuren in dieser Szene agieren: wie Pup­pen in einem Theater, welche die Verblendung nicht erkennen, der sie verfallen sind.“[14]

 

Thomas Mann zeigte meisterhaft, wie ökonomischer Niedergang einhergeht mit der Erosion der bürgerlichen Fassade. Längst war die Kaufmannsfamilie Budden­brook wirtschaftlich auf einer abschüssigen Bahn. Dazu hatte nicht nur die ungünstige Entwicklung der Geschäfte beigetragen, sondern auch hohe Ausgaben. Dass nun Tonys Tochter Erika mit einem Wirtschaftsbetrüger verheiratet war, konnte die Reputation des Hauses Buddenbrook nur weiter schädigen. Darüber halfen auch die Fassade eines großbürgerlichen Kaufmannshauses und das feierlich zelebrierte Weihnachtsfest nicht hinweg.

 

Das letzte gemeinsame Weihnachten der Buddenbrooks

 

Aber noch war der Vorhang nicht gefallen. Noch ein letztes Mal feierten die Buddenbrooks in diesem Roman Weihnachten. Inzwischen war die Konsulin verstorben und die Söhne Thomas und Christian hatten heftig über das Erbe gestritten. Der wirtschaftliche Niedergang der Kaufmannsfamilie war weiter vorange­schrit­ten, und Senator Thomas Buddenbrook setzte in dieser Situation einige der Weih­nachts­rituale nicht mehr fort, nun, wo die Konsulin nicht mehr lebte. Es gab keine Bescherung für die Hausarmen mehr und auch keinen Gesang der Chorknaben. Auch verschiedene Gäste früherer Feiern waren nicht mehr eingeladen worden. Man feierte in der Familie. Christian Buddenbrook machte keine Späße mehr, die ganze Stimmung war gedrückt. Hanno sah „sehr blass und matt“ aus. Als die Bud­denbrooks das, was von der Feierlichkeit des Weihnachtsabends noch übrig war, „hinter sich“ gebracht hatten, waren alle beinahe froh darüber. Bald darauf musste das prächtige Haus der Buddenbrooks in der Mengstraße verkauft werden, weil die Familie nicht nur finanziell ihrem Ende entgegenging. Nach dem Tod von Thomas Buddenbrook und seines einzigen Kin­des Hanno fiel die Familie endgültig auseinander. Der Vorhang des Dramas fiel.

 

Aber die Buddenbrooks lebten weiter – jedenfalls die Weihnachtsfeste, die Tho­mas Mann und seine Familie im Stil der Lübecker Kaufmannsfamilie feierten. 1905 hatte der Schriftsteller geheiratet, Katia Pringsheim, die aus einer ange­se­henen Münchener Familie stammte. Sechs Kinder sind aus dieser Ehe hervorge­gangen. Der Sohn Golo Mann erinnert sich an seine Kindheit: „… Weihnachten war noch immer ein Fest, nicht ganz so herrlich wie in Buddenbrooks, aber doch mit einem Schein davon; das Singen der Weihnachtslieder im stockdunklen Ar­beits­zimmer, das Heraustreten in den Lichterglanz des Baumes, das wie geblendete Suchen nach dem eigenen Geschenktisch …“[15]

 

Weihnachten auf dem „Zauberberg“

 

1912 kam Katia Mann mit dem Verdacht auf Tuberkulose in ein Sanatorium in Davos/Schweiz. Thomas Mann, der seine Frau dort besuchte, wurde durch die­sen Sanatoriumsaufenthalt inspiriert zu seinem Roman „Der Zauberberg“, der 1924 erschien. Im Mittelpunkt des Romans steht Hans Castorp, der Sohn einer Kaufmannsfamilie und gerade mit dem Ingenieursstudium fertig. Er besucht einen Vetter im Sanatorium „Berghof“ für Lungenkranke in Davos. Ein anfängliches Befremden weicht einer zunehmenden Faszination, und deshalb wird aus einem geplanten kurzen Besuch ein siebenjähriger Aufenthalt, für den eine leichte Erkrankung den Vorwand bietet.

 

Entrückt vom Alltag der Welt da draußen, die unendlich weit entfernt zu sein scheint, wird er Teil des Lebens auf dem „Zauberberg“. In dieser Welt von Krankheit und Tod, aber auch Amüsement, Güte und Liebe, hat das Weihnachtsfest einen besonderen Platz. „Auch von Weihnachten war die Rede“,[16] wird dieses Thema in den Roman eingeführt. Nein, daran hat Hans Castorp während seines Aufenthalts noch nicht gedacht, hat er dieses Fest doch bisher immer im Schoß seiner Familie verbracht. „In Gottes Namen denn, das wollte nun in Kauf genommen sein.“[17] Und wenig später heißt es zu den Überlegungen der Hauptperson des Romans: „Solche Etap­pen im Jahreslauf, wie das Weihnachtsfest, schienen ihm eben recht als Anhaltspunkte und Turngeräte, woran sich über leere Zwischenzeiten behände hinwegvol­tigieren ließ.“[18]

 

Wie findet dieses Weihnachtsfest, das mit einem Turngerät verglichen wird, in der Klinik statt, Festtage, „denen Hans Castorp mit einigem Schrecken und der kopf­schüttelnden Erwartung entgegengesehen hatte“?[19] Es bedarf des Weihnachts­baums im Speisesaal, um „in den Köpfen und Herzen das Bewusstsein der Stun­de“ wachzuhalten.[20] Für Menschen, die Jahre in dem Sanatorium verbracht haben, gefangen in einem immer wiederkehrenden Tagesablauf mit festen Zeiten für Aufstehen, Essen, Untersuchungen und Ruhe, bringt Weihnachten eine Struktur in das Jahr, aber selbst diese Unterbrechung ist nur von kurzer Dauer. Heiligabend ist die Gesellschaft elegant gekleidet, und sehr heiter geht es am Tisch der russischen Sanatoriumsbewohner zu: „… dort zuerst knallte der Champagner, der dann fast an allen Tischen getrunken wurde … Das Menü war gewählt, es endete mit Käsegebäck und Bonbons; man schloss Kaffee an und Liköre, und dann und wann rief ein aufflammender Tannenzweig, der Löscharbeit forderte, eine schrille übermäßige Panik hervor.“[21]

 

Nachdem der Chef des Sanatoriums gegangen ist, setzen sich viele Bewohner an die Spiel­tische. Aber auch der erste und der zweite Weihnachtstag müssen noch über­standen werden. Am ersten Tag gibt es ein Konzert, und der nächste Tag? „Der zweite Weihnachtstag unterschied sich durch nichts mehr, als durch das leichte Bewusstsein seiner Gegenwart, von einem gewöhnlichen Sonn- oder auch nur Wochentag, und als er vorüber war, da lag das Weihnachtsfest im Vergangenen, - oder, ebenso wichtig, es lag wieder in ferner Zukunft, in jahresferner: zwölf Monate waren nun wieder bis dahin, wo es sich im Kreislauf erneuern würde, - schließlich nur sieben Monate mehr, als Hans Castorp hier schon verbracht hatte.“[22] Es bleibt nur ein „leichtes Bewusstsein“ eines Festes, das längst seinen Inhalt verloren hat.

 

Und dann taumelt die Welt in den Ersten Weltkrieg. Hastig kehren die Bewohner des Sanatoriums in ihre Hei­mat­länder zurück, auch Hans Castorp, der sich bald auf den Schlachtfeldern eines brutalen Krieges wiederfindet. Er hat die fast mythische Welt des Zauberbergs verlassen, um nun dem Tod auf dem Schlachtfeld ins Auge zu blicken.

 

Die andere Weihnachtsdarstellung: „Weihnachtsstimmung“

 

Kurz nach der Veröffentlichung des Romans „Zauberberg“, in dem das Weihnachts­fest jegliche religiöse Bedeutung verloren hatte, schrieb Thomas Mann auf Bit­ten der ungarischen Tageszeitung „Pesti Hírlap“ einen Beitrag zum Thema „Weihnachtsstimmung“, der mit den am Anfang dieses Beitrags zitierten Sätzen begann und so fortgeführt wurde: „Die fröhliche Geschäftigkeit der Vortage, die gemeinschaftliche Erwartung, die Schriftworte der Verkündigung und ihr liebvertrauter Tonfall, der süße Klang der alten Lieder und der des Glöckchens, das zur Be­scherung lädt; der geschmückte Waldbaum im Kerzenflimmer, der wunderbare Duft seiner versengten Zweige, die gedeckten Geschenktafeln, - ich kann an all das nicht denken, ohne dass das Herz mir höher schlägt ...“[23] Und nach einigen weiteren Gedanken zum Weihnachtsfest endet der kurze Beitrag mit diesen Zeilen: „Man träumt vom Schicksal und Rätsel des Menschen, sei­nem geistigen Wesen, seiner leiblichen Not und Schuld. Und man glaubt zu be­greifen, was Gnade, was Liebe, was Hoffnung ist, und empfängt in der Seele den Sinn des Wortes ‚Denn euch ist heute der Heiland geboren.’“[24]

 

Der Zauber von Weihnachten ist uns schon mehrfach begegnet, in den Beschreibungen der Kindheit von Thomas Mann und auch bei den Buddenbrooks (wenn auch nicht mehr in der letzten Weihnachtsbeschreibung). Aber in diesem Zeitungsbeitrag bildet die Religion nicht mehr die leere Hülle von Weihnachtstraditionen, sondern der Text führt hin zu einem biblischen Text, vom Zauber des Festes über die Rätsel der Mensch­heit bis zu einem Lukasvers.[25] Zwei Jahre später begann Thomas Mann mit der Arbeit an seinem großen Roman „Joseph und seine Brüder“.

 

Der Ruhm und der bittere Weg ins Exil

 

Wenn man die Tagebuchnotizen und Briefe von Thomas Mann über die Weihnachtsfeste seiner Familie liest, fällt auf, wie oft vom Champagner die Rede ist, der auch in schwierigen Zeiten zum Fest gehörte, und wie wenig es um den religiösen Ursprung und Gehalt des Festes ging. Der Satz „Über der Stadt läuteten die Weihnachtsglocken“ im Tagebucheintrag vom 24. Dezember 1919[26] gehört schon zu den deutlicheren Bezügen dazu, was an diesem Fest eigentlich gefeiert wird.

 

Thomas Mann war inzwischen ein berühmter und wohlhabender Schriftsteller geworden, der sich in der Weimarer Republik für Demokratie und Humanität engagierte. 1929 wurde Thomas Mann mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, nicht für sein bis dahin bereits beträchtliches literarisches Werk, sondern dezidiert für seinen Roman „Buddenbrooks“. Aber als der Schriftsteller auf dem Zenit seines Ruhmes stand, gewannen die Nationalsozialisten immer mehr Einfluss in Deutschland. Thomas Mann hatte am 17. Oktober 1930 in Berlin eine aufrüttelnde Rede gehalten, der er den Titel „Appell an die Vernunft“ gab. Darin griff er die Nationalsozialisten mit deutlichen Worten an und sprach von „exzessiver Barbarei“ und „Massenkrampf“. Nach dem Machtantritt Hitlers kehrte das Ehepaar Mann von einem Winterurlaub in der Schweiz nicht mehr nach München zurück.

 

Thomas Mann konnte sich nur schwer daran gewöhnen, nun im Exil zu leben. Immerhin ging es ihm und seiner Familie sehr viel besser als den meisten anderen Emigranten. Auch nachdem große Teile seines Vermögens konfisziert worden waren, konnte er von dem Geld, das er in die Schweiz transferiert hatte, im Wohlstand leben. 1938 siedelte die Familie Mann in die USA über. Thomas Mann erhielt zunächst eine Gastprofessur an der Universität Princeton. Seine Werke verkauften sich gut, und durch Lesereisen wurde er in den USA noch bekannter.

 

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzte Thomas Mann sich verstärkt für deutsche Flüchtlinge ein. Auch wandte er sich in der monatlichen Rundfunksendung „Deutsche Hörer!“, die von Lon­don aus ausgestrahlt wurde, an die deutsche Bevölkerung. Die Manns lebten in­zwischen in Kalifornien, im Wohlstand, aber doch gezeichnet durch das Exildasein. Immerhin, die Weihnachtstraditionen wurden auch unter diesen misslichen Umständen fortgeführt, und in einem Brief vom 25. Dezember 1940 findet sich die Be­merkung „… und schließlich las ich wie ein rechter Hausvater aus der Bibel vor“.[27] Thomas Mann in der Tradition der Konsulin in den Buddenbrooks, die aus der Bibel vorliest? Nicht ganz, denn nach einem Gedankenstrich fuhr Thomas Mann fort „aus meiner eigenen, von den zwei Hofherren, die ins Untersuchungsgefängnis kommen, und man hatte etwas zu lachen. Dies Buch ist für mich eine harmlose Zerstreuung, genau wie ich sie brauche, und es wird gewiss noch in Zeiten erscheinen, wo viele eine solche werden brauchen können“.[28] Kurz vor dem Weihnachtsfest 1941 schrieb der Schriftsteller an eine Freundin: „Wir sprachen über Gott und Religion heute, und ich erklärte, beim besten Willen nicht sagen zu können, ob ich glaubte oder nicht.“[29] In seinem Tagebuch notierte Thomas Mann für den 24. Dezember 1951, dass er über Martin Luther gelesen und abends ein „naiv-schönes“ Weihnachts­oratorium gehört habe.[30]

 

Nach dem Krieg blieben Thomas und Katia Mann zunächst in Kalifornien. Die Familie Mann war nun in den USA zu Hause. Umso überraschter war Thomas Mann, als er sich 1951 in seiner neuen Heimat vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe wegen sei­ner angeblichen apologetischen Haltung gegenüber Stalin rechtfertigen musste. Im folgenden Jahr kehrten die Manns in die Schweiz zurück, und Thomas Mann besuchte von hier aus gelegentlich Deutschland. 1955 verlieh ihm die Stadt Lübeck die Ehrenbürgerrechte.

 

Wenn man Thomas Manns Tagebuchaufzeichnung über das Weihnachtsfest im Jahre 1954 liest, fällt die zunächst gedrückte Stimmung der Familie auf. Die Tochter Erika hatte eine „leidende Wut gegen die Leute vom ‚Spiegel’ und ihr Machwerk“,[31] die einen nega­tiven Beitrag über die Manns veröffentlicht hatten. Über seine Frau Katia notierte Thomas Mann: „K. gequält, wie so oft, vom Extremismus ihres Hasses, verhehlt kaum den Wunsch nach Trennung. Mir bitter und traurig.“[32] Er zog sich an seinen Schreibtisch zurück und überarbeitete einen Text. Und dann kam doch noch Weihnachtsstimmung im Kreise der Familie mit den Enkeln auf: „Vor der Bescherung mit den Buben im Dunkeln in der Bibliothek, Gesang. Reiche Gaben für alle ... Auch als Weihnachtshaus bewährte das unsrige sich gut.“[33] Es war das letzte Weihnachtsfest für Thomas Mann, der im folgenden Jahr im Alter von 80 Jahren in Zürich starb.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

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[1] Zitiert nach: Karl-Josef Kuschel: Weihnachten bei Thomas Mann, Düsseldorf 2006, S. 12

[2] Weihnachten mit Thomas Mann, herausgegeben von Sascha Michel, Frankfurt am Main 2009, S. 7

[3] Zitiert nach: Karl Josef Kuschel: Weihnachten bei Thomas Mann, a.a.O., S. 32 u. 34

[4] Ebenda, S. 47

[5] Thomas Mann: Weihnachten bei den Buddenbrooks, Frankfurt am Main 2005, S. 9

[6] Ebenda, S. 14

[7] Ebenda, S. 15f.

[8] Ebenda, S. 24

[9] Ebenda, S. 27

[10] Ebenda, S. 47

[11] Ebenda, S. 50

[12] Ebenda, S. 61

[13] Ebenda, S. 66

[14] Karl-Josef Kuschel: Weihnachten bei Thomas Mann, a.a.O., S. 65f.

[15] Zitiert nach: ebenda S. 11

[16] Sascha Michel (Hrsg.): Weihnachten bei Thomas Mann, a.a.O., S. 52

[17] Ebenda

[18] Ebenda, S. 53

[19] Ebenda, S. 54

[20] Ebenda, S. 57

[21] Ebenda, S. 58

[22] Ebenda, S. 60

[23] Zitiert nach: Karl-Josef Kuschel: Weihnachten bei Thomas Mann, a.a.O., S. 87

[24] Ebenda, S. 87f.

[25] Zur Interpretation des Textes durch Karl-Josef Kuschel siehe: ebenda, S. 88f.

[26] Weihnachten mit Thomas Mann, a.a.O., S. 45

[27] Ebenda, S. 81

[28] Ebenda

[29] Ebenda, S. 84

[30] Vgl. ebenda, S. 113

[31] Ebenda, S. 119

[32] Ebenda

[33] Ebenda