Alternative Wirtschaftsformen

 

Initiativen eines anderen Wirtschaftens wie zum Beispiel kleine genossenschaftlich betriebene Handwerksbetriebe, Tauschringe und Umsonst-Läden sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung. Sie haben nur einen minimalen Anteil an den nationalen und internationalen Handels- und Finanzbewegungen und es wäre unrealistisch zu erwarten, mit genügend Überzeugungskraft und Engagement könne es in absehbarer Zeit gelingen, einen großen Teil der internationalen Wirtschaft nach diesem Modell zu gestalten, aber dennoch sind sie wichtig.

 

Eine Form des Wirtschaftens, die erst seit zwei oder drei Jahren besteht, sind die Umsonst-Läden. Die Grundidee ist, dass es zumindest in den wirtschaftlich reichen Ländern viele Menschen gibt, die viele noch brauchbare Güter in den Schränken, im Keller und auf dem Boden haben, die sie nicht mehr nutzen und von denen sie sich gern trennen würden, die sie aber nicht auf den Müll werfen wollen. Umgekehrt gibt es eine wachsende Zahl ärmerer Menschen, die solche Gegenstände benötigen. Die Umsonst-Läden stellen die Verbindung zwischen ihnen her.

 

Wer gebrauchsfähige Gegenstände hat, die nicht mehr benötigt werden, kann diese im Laden abgeben. Wer etwas braucht, kann sich im Laden umsehen und ohne zu bezahlen das mitnehmen, was gebraucht wird. In Hamburg gab es 2002 zwei solcher Umsonst-Läden. Der „Umsonstladen“ im eher alternativ geprägten Stadtteil Altona wird vom „Arbeitskreis lokale Ökonomie“ betrieben. Es gibt viele Leute aus dem weiten Umkreis, die sich von Dingen trennen, die sie nicht mehr brauchen, während gleichzeitig viele Anwohner ihre Möblierung oder ihren Kleiderschrank mit kostenlosen Angeboten aufbessern. Pro Besuch dürfen drei Gegenstände mitgenommen werden. Die Regel wurde eingeführt, um eine „Plünderung“ des Ladens zu verhindern, aber die allermeisten der Rentner, Arbeitslosen, Flüchtlinge aus aller Welt und der anderen Besucher des Umsonstladens sind nicht raffgierig, sondern nutzen die Möglichkeit, sich gezielt einzelne Güter zu nehmen, für die ihr geringes Geldeinkommen nicht reicht.

 

Hilmar Kunath, einer der Initiatoren des Projektes, hat festgestellt: „Holen und Bringen halten sich auf wunderbare Weise die Waage.“ Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ladens wollen ein Beispiel dafür setzen, dass das Leben nicht nur aus Kaufen und Verkaufen besteht, und deshalb sind eine ganze Reihe von Aktivitäten rund um den Laden entstanden, zum Beispiel ein Frauen-Frühstück und ein PC- und Internet-Service. „Wir sind ein Aktionsverein“, erklärt Hilmar Kunath, „wir möchten etwas mit den Menschen tun, nicht für sie“.[1]

 

Im zweiten Hamburger Umsonst-Laden ist es ebenfalls immer voll. Der Laden „Kostnix“ entstand auf Initiative von Studierenden der Fachhochschule der Evangelischen Stiftung „Das Rauhe Haus“. Sarah Vogt, eine der Studentinnen, beschreibt ein Ziel dieser Initiative so: „So können wir dem Trend zur Wegwerfgesellschaft entgegenwirken.“[2]( 2019 schloss der Laden nach 18 Jahren erfolgreicher Tätigkeit)

 

Manche Besucher von Umsonst-Läden sind zunächst überrascht, einfach weggehen zu können, ohne zu bezahlen, aber diese Erfahrung kann zum Nachdenken darüber beitragen, ob ein Leben möglich ist, das nicht so stark wie bisher durch Kaufen und Verkaufen bestimmt wird. Die Kosten der Läden sind gering, zumal dann, wenn sie in kirchlichen Einrichtungen oder gemeinnützigen Vereinen unterkommen. Einen kleinen Beitrag zu einem nachhaltigen Wirtschaften leisten die Umsonst-Läden auch, denn es müssen etwas weniger Güter produziert werden, wenn mehr Gegenstände einer neuen Verwendung zugeführt werden, statt auf dem Boden einzustauben. Allerdings muss auch gesagt werden, dass der Erfolg der ersten Umsonst-Läden nicht zuletzt darauf beruht, dass hierzulande die Zahl der Armen wächst, die auf solche Angebote angewiesen sind.[3]

 

Aus der Not geboren: Tauschringe in Argentinien

 

Ähnliches gilt auch für manche Tauschringe, vor allem für jene in Ländern wie Argentinien. Angesichts der Wirtschaftskrise des Landes Anfang des Jahrhunderts und der Sperrung der Bankkonten durch die Regierung sind wurden sie für viele Menschen zu einer Überlebensstrategie. Etwa 8.000 dieser „clubes del trueque“ existierten zeitweise im Lande, und getauscht wird von Lebensmitteln bis zu Hausrat alles, was gebraucht wird. 2,5 Millionen Menschen sind in diese Wirtschaftsform einbezogen. Es gab sogar so etwas wie eine zweite Währung, die „creditos“, mit denen man Gemüse kaufen oder eigene Handwerksleistungen honoriert bekommen konnte.[4]

 

Wo die neoliberalen Rezepte des Internationalen Währungsfonds ins Desaster geführt haben[5], entsteht eine neue Form der Ökonomie, geprägt von solidarischen Beziehungen in Nachbarschaftsgruppen und voller Misstrauen gegen „die da oben“, gegen die Konzernchefs und die Politiker.[6] Die argentinischen Tauschringe sind eingebunden in zahlreiche Organisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft, die sich – oft notgedrungen – rasch entwickeln, wo der Staat versagt. Ob es gelingen wird, aus diesen Notlösungen dauerhafte neue Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens zu gestalten, bleibt abzuwarten. Jedenfalls erlaubt die Alternative der Tauschringe ein Überleben, während die neoliberalen Wirtschaftskonzepte ins Elend geführt haben.

 

Die Leitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Argentinien rief im Januar 2002 zu „Solidarität inmitten der Krise und extremen Not“ auf und kritisierte die „habgierigen Konzerne und Finanzmärkte“.[7]

 

Es gibt eine Alternative, davon sind auch die katholischen Bischöfe des Landes überzeugt: „Es gibt auch viele, die schon beharrlich für das Gemeinwohl arbeiten und eine Strömung der Solidarität erzeugen, die sich der sozialen Ungleichheit widersetzt. Diese solidarischen Bemühungen spannen haltende Netze, die die negativen Folgen des Prozesses der Globalisierung menschlicher gestalten.“[8]

 

Alternative Wirtschafts-Initiativen müssen die herrschenden Wirtschaftsprozesse mindestens so gut analysieren wie die Betreiber so genannter start up-Unternehmen, weil sie Freiräume entdecken müssen, die ein Wirtschaften in Einklang mit der Schöpfung, ohne die Ausbeutung anderer Menschen und trotzdem mit einer wirtschaftlichen Überlebensmöglichkeit erlauben. Je mehr solcher nicht vom Profitstreben angetriebene Unternehmen entstehen und je erfolgreicher sie sind, desto stärker kann es gelingen, eine andere Form des Wirtschaftens durchzusetzen und den Konsumenten Alternativen zu den großen Konzernen zu eröffnen. Es muss ja nicht erst eine BSE-Krise kommen, damit mehr Verbraucher in die Bioläden strömen, aber jeder der vielen Skandale von Pestiziden bis giftigen Stoffen in Holzschutzmitteln veranlasst Menschen zum Umdenken und zu einer Offenheit für Alternativen.

 

Eine der hoffnungsvollen Entwicklungen der letzten Jahre ist es, dass von der Geldanlage bis zu Lebensmitteln, von Kleidung bis zum Hausbau zahllose ethisch und ökologisch verantwortungsbewusste Alternativen entstanden sind. Es lässt sich von einer zweiten Ökonomie sprechen, selbst wenn einzelne Angebote bei näherer Betrachtung nicht allen ethischen und ökologischen Kriterien entsprechen mögen.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

 

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

 

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Vgl. den Beitrag von Christian Stemmler über diese Initiative:  „Besuch im Umsonst-Laden“, in: Junge Kirche, 2/2001, S. 22ff.

[2] Zitiert nach epd-Zentralausgabe, 21.3.2002

[3] Vgl. den Beitrag von Peter Nowack in der tageszeitung vom 30.3.2002

[4] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 30.9.2002; Lateinamerika Nachrichten, November 2002, S. 18ff.

[5] Vgl. Eine Welt 2/2002, S. 27f.

[6] Vgl. den Beitrag: „Tauschringe als Vorstufe einer alternativen Gesellschaft?“ von Karl Otterbein, in: epd Entwicklungspolitik, 4/2002, S. 61

[7] Vgl. Lutherische Welt-Information 2/2002, S. 2

[8] Heute benötigt das Vaterland etwas Neues, Botschaft der 81. Vollversammlung der Bischofskonferenz, in: Weltkirche 5/2001, S. 130