Die Elbphilarmonie hat Hamburg einen Platz unter den bedeutendsten Konzerthäusern der Welt gesichert
Die Elbphilarmonie hat Hamburg einen Platz unter den bedeutendsten Konzerthäusern der Welt gesichert. Foto: istock.com/Christopher Tamcke

„Weltstadt“ Hamburg

 

Ist Hamburg eine Weltstadt – oder wenigstens auf dem Weg dorthin? Der Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) belebte diese Debatte, als er im September 2017 erklärte, Hamburg müsse „nicht um jeden Preis weiterwachsen“. In einem Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“ (22.9.2017) fügte er hinzu: „Dieses Weltstadtgerede und dieses Gernegroß-Gehabe geht mir persönlich ziemlich auf die Nerven, weil Hamburg das überhaupt nicht nötig hat. Hamburg ist auch so eine tolle Stadt.“ Und er fügte hinzu: „Wir müssen dafür sorgen, dass Hamburg für die Hamburger eine lebenswerte Stadt ist.“

 

Auf Rankinglisten, die sich an Kriterien wie ökonomischen Daten und politischer Bedeutung orientieren, ist Hamburg weit von der Spitzengruppe der Weltstädte entfernt. Im Ranking 2018 des „Globalization and World Cities Research Network“ landete Hamburg in der vierten Kategorie “Beta+” – in den Schatten gestellt von Städten wie Kairo, Jakarta und Manila. Sollten diese Städte nun zum Maßstab für das Leben in einer Weltstadt werden?

 

Da scheint es wichtiger, dass Hamburg von der britischen Zeitschrift „Economist“ 2017 im Ranking der lebenswertesten Städte der Welt Platz 10 erreichte, knapp hinter Helsinki und deutlich vor anderen großen deutschen Städten. Berücksichtigt werden bei diesem Ranking unter anderem Verkehrsinfrastruktur, Umweltsituation, Bildung, Gesundheitsversorgung, Kultur und Terrorgefahr. Bemerkenswert ist, dass Städte wie New York, London und Paris, die beim ökonomisch und politisch ausgerichteten Weltstadt-Ranking Spitzenplätze einnehmen, bei der Beurteilung als lebenswerter Stadt deutlich abgeschlagen auf den mittleren Plätzen der 140 bewerteten Metropolen landen.

 

Nach dem Erfolg 2017 war es für Hamburg eine herbe Enttäuschung, dass die Stadt beim „Economist“-Ranking im folgenden Jahre auf Platz 18 zurückfiel und zum Beispiel von Frankfurt überholt zu werden. Tröstlich immerhin, dass Hamburg die gleiche Punktzahl wie im Vorjahr erreichte. Nur hatten andere Städte in der „Economist“-Bewertung inzwischen die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger verbessert. Es gibt also noch Raum für Verbesserungen der Lebensqualität in Hamburg.

 

Das andere Verständnis von einer Weltstadt

 

Wer gegenüber der vorherrschenden Globalisierung und ihren weltweiten Folgen skeptisch ist, der verabschiedet sich am Besten ganz rasch von einem Verständnis von Weltstadt, das sich daran ausrichtet, in welchem Umfang eine Stadt große Konzerne anlocken kann und ob es seine Wirtschaftskraft (um welchen Preis auch immer) ständig erhöht. Wichtiger erscheint es, ob eine Stadt als lebenswert wahrgenommen wird. Aber für eine „Weltstadt“ im positiven Sinne kommt nach meinem Verständnis noch Einiges hinzu. Eine „Weltstadt“ sollte weltoffen sein und nicht nur die willkommen heißen, die als Geschäftsleute, Touristen oder hoch qualifizierte Migranten zum weiteren ökonomischen Aufstieg beitragen können. Ebenso gilt es zu prüfen, ob die Unternehmen einer Stadt skrupellos dazu beitragen, die übrige Welt auszuplündern und auszubeuten oder ob sie einen Beitrag zu einer nachhaltigen lokalen und globalen Wirtschaft leisten.

Auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger können zum Beispiel durch ihr Konsumverhalten dazu beitragen, dass eine Stadt sich am Wohlergehen des eigenen Gemeinwesens und am Wohlergehen aller und der Umwelt orientiert. Der Kauf von ökologisch verantwortungsvoll und sozial fair gehandelten Güter gehört hierzu. Das bedeutet auch, „vor der eigenen Haustür“ ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und krasse soziale Unterschiede zu verhindern.

 

Eine „Weltstadt“ zeichnet sich auch durch eine große kulturelle Vielfalt aus, die nicht als Bedrohung, sondern als großer Reichtum wahrgenommen wird. Ähnliches gilt für die religiöse Vielfalt.

 

All das ist nicht einfach zu erreichen. Im Gegenteil. Erforderlich sind eine Konfliktbereitschaft und ein tagtägliches Ringen um die Einbeziehung aller in die Stadtgemeinschaft und ein Miteinander unterschiedlichster Menschen und sozialer, ethnischer und religiöser Gruppen. Jede und jeder Einzelne ist immer neu gefordert, zum Wohlergehen dieser Gemeinschaft beizutragen, ein Wohlergehen, das nicht zulasten anderer gehen darf.

 

Hamburg kann auf dem Weg zur „Weltstadt“ aus seiner Geschichte lernen

 

Die letzten 1.200 Jahre der Geschichte Hamburgs und seiner inzwischen eingemeindeten Nachbarorte sind geprägt von unterschiedlichsten Erfahrungen auf dem Weg zu einer solchen „Weltstadt“. Eine auch heute noch wichtige Erfahrung war, dass Migranten und Migrantinnen immer wieder ganz entscheidend zum ökonomischen und kulturellen Wohlergehen und zum sozialen Zusammenhalt der Stadt beigetragen haben. Darunter waren Handwerker und Köche, Überseekaufleute und Architekten und viele, die man heute nicht zu den „Leistungsträgern“ zählen würde. Von den meisten von ihnen wissen wir heute nichts mehr, andere haben sich als erfolgreiche Unternehmer, Bürgermeister oder Künstlerinnen einen Namen gemacht. Besonders das bis 1937 selbstständige Altona hat erst durch seine Politik der Offenheit für Menschen aus anderen Ländern, Religionen und Kulturen eine Bedeutung als Großstadt erlangt. Zwar gelang es nie, das schon Jahrhunderte früher prosperierende Hamburg in den Schatten zu stellen. Aber ein intolerantes Altona wäre für immer ein Provinznest geblieben.

Mehrfach waren Hamburgerinnen und Hamburger selbst darauf angewiesen, in anderen Städten und Ländern aufgenommen zu werden, vor allem während der Naziherrschaft. Andere sind freiwillig hinaus in die Welt gezogen und manchmal mit einem Schatz an materiellen Gütern oder Erfahrungen in ihre Heimatstadt zurückgekehrt.

 

Wenn Hamburg und seine früher selbstständigen Nachbarn Altona und Wandsbek sich offen für internationalen Austausch, für neue Ideen und geistige Herausforderungen zeigten, erlebte sie Sternstunden, die zum Teil bis heute nachwirken. Dies gilt im Besonderen für den geistigen Aufbruch der Aufklärung, zu dem Hamburger und Altonaer Denkerinnen und Denker wesentlich beitrugen. Und das gilt mindestens so sehr für das Reformjudentum, dessen Entstehen eng mit der Hansestadt verbunden war. Was in Hamburg von aufgeschlossenen jüdischen Rabbinern und Philosophen gedacht und in Reformgemeinden praktiziert wurde, hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit große Debatten im Judentum ausgelöst und das Gesicht dieser Religionsgemeinschaft verändert. „Made in Hamburg“ sind eben nicht nur Nivea und Airbus-Flugzeuge, es sind auch viele Gedanken und Erkenntnisse, die um die Welt gingen.

 

 

Aber gerade die Geschichte des hiesigen Reformjudentums weist auch auf die düsteren Seiten Hamburgs als „Weltstadt“ hin – die Vertreibung und die Ermordung vieler Tausend Menschen von 1933 bis 1945, vor allem im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern. Auch davon wird bei der Beschäftigung mit einer „Weltstadt“ die Rede sein. Es gab auch schon früher immer wieder historische Phasen, in denen Abschottung und Engstirnigkeit vorherrschten und die „Anderen“ ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt wurden. Dazu gehörten neben den Juden zum Beispiel auch sogenannte „Zigeuner“, als Hexen verleumdete Frauen und Christinnen und Christen, die nicht Lutheraner waren. Nicht selten mussten die Bürgerinnen und Bürger, die andere ausgrenzten oder vertrieben und ermordeten, erleben, dass sich dies ökonomisch, aber auch kulturell verheerend auswirkte. Auch wer heute die Zuwanderer allein unter „Nützlichkeitsgesichtspunkten“ sortieren will, befindet sich in einer historischen Kontinuität – allerdings in keiner, die zur postulierten Liberalität und Weltoffenheit der Stadt passt. 

 

 © Frank Kürschner-Pelkmann