Heilpflanzen als preiswerte Alternative

 

„Artemisia annua“ ist ein Name der Hoffnung. Jährlich sterben weltweit 2,5 Millionen Menschen an Malaria. Der deutsche Arzt Dr. Markus Müller und der Pharmazeut Dr. Hans-Martin Hirt haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass sich aus der im Kongo wild wachsenden Pflanze Artemisia annua ein wirksames und dabei sehr preiswertes Mittel gegen Malaria gewinnen lässt. Dies ist um so wichtiger, als inzwischen ein hoher Resistenzgrad gegenüber den herkömmlichen Mitteln der pharmazeutischen Industrie besteht.

 

Das neue Mittel wurde in Zusammenarbeit der deutschen Organisation „Christliche Fachkräfte International“ und dem „Deutschen Institut für Ärztliche Mission“ untersucht und neben dem Kongo in einigen weiteren afrikanischen Ländern erprobt. Das Mittel hat sich als äußerst wirksam erwiesen und soll jetzt weltweit als preiswertes Medikament eingeführt werden. Es ist ausgebildeten Gesundheitshelfern möglich, die Pflanze im Garten anzubauen und daraus selbst das Medikament zu gewinnen.

 

Die Kosten sind also minimal, und zudem besteht keine Abhängigkeit von der oft unsicheren Versorgung aus der Hauptstadt oder dem Ausland.

 

Allerdings, ob Zufall oder nicht, auch ein großer Pharmakonzern hat jetzt ein neues Medikament auf den Markt gebracht, das den gleichen Wirkstoff enthält wie die Artemisia-Pflanze. Es gibt große Preisunterschiede, denn das pflanzliche Heilmittel wird aus der kostenlosen kongolesischen Pflanze gewonnen, während der Pharmakonzern seine üblichen Kosten in Rechnung stellt, einschließlich eines großen Werbeetats. Nicht zuletzt wegen dieses Werbeetats wird gefürchtet, dass der Konzern sein teures Produkt auf dem globalen Pharmamarkt durchsetzen wird, ein Produkt, das sich die Armen allerdings nicht leisten können.[1]

 

Das Wissen der indigenen Völker und die Interessen der Pharmaindustrie

 

Dies ist kein Einzelfall. Einerseits wächst das Interesse an Heilpflanzen, und ihre Wirksamkeit wird wissenschaftlich geprüft und nachgewiesen, andererseits versuchen die großen Pharmakonzerne, sich das Wissen anzueignen und durch Patente zu sichern. Die Patentierung dessen, was indigene Völker seit Jahrtausenden wissen, durch pharmazeutische Unternehmen im Westen hat immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen geführt. Die Patentämter sind schon mehrfach zu Schauplätzen der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern indigener Völker und Pharmaunternehmen geworden. Das war zum Beispiel im Mai 2000 vor dem Europäischen Patentamt in München der Fall, wo es um die Rechte am indischen Neembaum ging. Der Neembaum ist seit Jahrtausenden die Quelle zahlreicher Heilmittel der indischen Ayurveda-Medizin.

 

In den letzten Jahren haben sich internationale Pharmakonzerne die Patente für verschiedene Arzneimittel auf Neem-Basis gesichert, zum Beispiel ein Verhütungsmittel. Im Mai 2000 ging es um ein gemeinsames Patent des US-Unternehmens W. R. Grace und des US-Landwirtschaftsministeriums für ein Verfahren zur Bekämpfung von Pilzen mit einem Neemöl-Extrakt. In einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen“ über den Prozess heißt es, „der Vertreter des amerikanischen Chemie-Großkonzerns schweigt während der gesamten Verhandlung, wie nur ein Mensch schweigen kann, der sich seiner Macht bewusst ist“.[2]

 

Dass er dennoch den Prozess verlor, lag nicht daran, dass die traditionellen Rechte der indischen Bauern anerkannt wurden, sondern die indische Seite mit Zeugen nachweisen konnte, dass ein indisches Unternehmen bereits mit einem sehr ähnlichen Verfahren wie die US-Amerikaner aus dem Öl des Neembaums Pflanzenschutzmittel herstellt. Dennoch war dies ein kleiner Sieg gegen die mächtige Pharmaindustrie, die sich skrupellos das Wissen dieser Welt aneignet, patentieren lässt und damit große Gewinne erzielt. Zu Recht schrieb Klaus Rieth von Brot für die Welt in der Einleitung eines Buches zu dieser Thematik: „Die Patente, um die es hier geht, sind keine Erfindungen von Menschen, sondern sind Teil von Gottes Schöpfung ... Deshalb werden wir uns auch nicht damit abfinden, dass nur aufgrund kurzfristigen Profitdenkens einiger weniger multinationaler Konzerne ein Großteil der Menschheit in Abhängigkeit von diesen Konzernen geraten soll.“[3]

 

Die Aneignung des „geistigen Eigentums“

 

Weltweit wird der Prozess der Privatisierung der Heilkräfte der Natur und des Wissens der Völker von diesen Heilkräften durch das „Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums“ (TRIPS) im Rahmen der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation WTO betrieben. Bei geistigem Eigentum und dessen Schutz mag mancher an den armen Poeten auf dem berühmten Bild von Spitzweg denken, der nun endlich davor geschützt werden soll, dass seine Gedichte widerrechtlich vervielfältigt werden und er leer ausgeht. Aber das Stichwort „handelsbezogen“ deutet schon an, dass es nicht um Poeten, sondern um die Patente von Unternehmen und großen Forschungseinrichtungen geht, die nun weltweit Einnahmen aus ihren Rechten beziehen. Selbst die Patentierung von Pflanzen und Tieren ist nach den WTO-Bestimmungen möglich, wenn Länder dies nicht ausdrücklich anders geregelt haben.

 

Dieser totalen Vermarktung der Schöpfung stehen Konzepte gegenüber, die sich an den Interessen der etwa 2,5 Milliarden Menschen orientieren, die keinen geregelten Zugang zu wichtigen Medikamenten haben. Oft ist die Rückkehr zur Nutzung von Heilpflanzen aus der Not geboren, dass keine pharmazeutischen Medikamente zur Verfügung stehen. Aber bei einer gründlichen Prüfung der Wirkungen und der unerwünschten Nebenwirkungen (die auch Heilpflanzen haben) können sie sich als die bessere Alternative erweisen. Weltweit gibt es etwas 20.000 Arzneipflanzen, von denen der größte Teil bisher nicht systematisch untersucht worden ist.

 
Die Bedeutung traditionellen Wissens für die Gesundheitsversorgung in Afrika

 

Wie aufwendig dies sein kann, zeigt die Arbeit des kongolesischen Apothekers Konda Ku Mbuta. Angesichts der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Krise seines Landes standen ihm immer weniger importiert Medikamente zur Verfügung. Deshalb entschloss er sich, Heilpflanzen aus verschiedenen Regionen des Landes auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Über 700 Pflanzen trug er bei zwei ausgedehnten Reisen zusammen, aber dann gingen dem staatlichen Institut in Kinshasa, für das er arbeitet, die Gelder aus, sodass eine systematische Forschung nicht fortgesetzt werden konnte.

 

Immerhin war es möglich, die Wirkung einzelner Arzneipflanzen nachzuweisen und zum Beispiel ein Mittel gegen Rheuma zu einem sehr günstigen Preis auf den Markt zu bringen. Das Interesse der Bevölkerung an diesen Mitteln ist groß, nachdem sie feststellen konnte, wie systematisch und unter guten hygienischen Verhältnissen das Institut die Heilpflanzen erforscht und zu Naturheilmitteln verarbeitet. Mit Unterstützung des Ökumenischen Studienwerkes konnte Konfo Ku Mbula im Jahr 2000 sechs Monate lang in einem Labor in Metz arbeiten, um sich mit den Wirkungen von 14 Pflanzen zu beschäftigen und ihre Verwendung für Heilzwecke zu prüfen.[4]

 

In vielen afrikanischen Ländern gibt es noch alte Frauen, die das traditionelle Wissen über die heilende Kraft von Pflanzen bewahrt haben. Über eine von ihnen hat die Zeitschrift des katholischen Hilfswerkes Misereor 2001 berichtet. Ana Banda ist über 70 Jahre alt und lebt im westlichen Teil Mosambiks an der Grenze zu Simbabwe. Als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte war das Gebiet bis Mitte der 90er Jahre weitgehend entvölkert, und die zurückgekehrten Familien müssen völlig neu anfangen. Ein Problem ist die medizinische Versorgung. Für 40.000 Menschen gibt es nur einen Arzt. Als eine deutsche Agrarwirtschaftlerin in das Gebiet kam, um den Familien bei einer nachhaltigen Landwirtschaft zu helfen, gab es zunächst keinen Kontakt zu Ana Banda, die sicher vermutete, die Europäerin habe die üblichen Vorbehalte gegen traditionelle Heilungsmethoden. Aber inzwischen arbeiten die beiden Frauen zusammen, und Ana Banda hat einen Modellgarten für Heilpflanzen angelegt, wo sie ihr Wissen in Kursen an andere Frauen weiter gibt.[5]

 

Es wird von vielen negativen Erfahrungen mit traditionellen Heilern in Afrika berichtet[6], aber es gibt auch eine ganze Reihe von Männern und Frauen, die die Kenntnisse vieler Generationen bei der Anwendung von Heilpflanzen kennen und zum Wohle ihrer Mitmenschen einsetzen. Zwischen ihnen und den Vertretern der westlichen Medizin gab es lange Zeit große gegenseitige Vorbehalte, aber auch mit westlichen Methoden ausgebildete Ärzte und Apotheker haben inzwischen erkannt, wie groß das Wissen vieler traditionell arbeitender „Konkurrenten“ über die Heilwirkung von Pflanzen ist.

 

In Tansania ist zum Beispiel an einer angesehen staatlichen Gesundheitseinrichtung eine Abteilung für traditionelle Medizin eingerichtet worden und im Gesundheitsministerium gibt es einen Arbeitsbereich, der für die Arbeit von traditionellen Heilkundigen zuständig ist. Seit 1970 wurden mit Unterstützung chinesischer Fachleute 1.000 Pflanzen, die von traditionellen Heilkundigen verwendet werden, auf ihre Wirksamkeit geprüft. 62 von ihnen wurden eindeutig als wirkungsvoll anerkannt. Auch in kirchlichen Gesundheitseinrichtungen des Landes wird der Versuch unternommen, traditionelle und westliche Medizin zum beiderseitigen Nutzen miteinander in Verbindung zu bringen.[7]

 

Zu den verantwortungsbewussten Kräuterheilkundigen gehört Jumanne Kabeyas in Dar es Salaam, der seine Kenntnis in der Jugend von seiner Großmutter erworben hat. Bevor er einen Patienten mit Medikamenten aus Kräutern behandelt, bittet er ihn, eine Diagnose der Krankheit von einer anerkannten medizinischen Stelle erstellen und sich gegebenenfalls röntgen zu lassen. Erst wenn eine klare Diagnose vorliegt, beginnt die naturheilkundliche Behandlung. Der Heilkundige kennt seine Grenzen und weiß zum Beispiel, dass er kein Kraut zur Heilung von Aids hat, aber immerhin Mittel, die das Leben der Kranken verlängern können. Jumanne Kabeyas ist mit seiner Heilkunst nicht reich geworden, denn er orientiert sich an den Ratschlägen seiner Großmutter und nicht an den Gesetzen des Marktes. Die Großmutter hatte ihm gesagt: „Jumanne, ich weiß, dass du Kräuterheilkundiger werden willst, und ich sehe Anzeichen dafür, dass du Erfolg haben wirst. Erstens rate ich dir, mache kein Geschäft daraus, ein Dienst an der Menschheit soll es für dich sein. Zweitens, nie sollst du mit deinen Kundinnen anbandeln. Drittens sei nicht gierig, denn dieser Beruf ist eine Berufung.“[8]

 

In einer kirchlichen Krankenpflegeschule in Goma im Kongo haben die Schülerinnen und Schüler einen Heilpflanzengarten angelegt, wie aus einem Bericht der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) hervorgeht. Hintergrund für den Kurs zum Thema „Natürliche Medizin in den Tropen“ ist, dass viele Absolventen der Schule in Regionen des Kongo arbeiten werden, wo es keine regelmäßige Versorgung mit Medikamenten gibt. So lernen sie zum Beispiel, aus Eukalyptus und Cayennepfeffer eine wirksame Rheumasalbe herzustellen. Aus Zutaten wie Palmöl und Honig wird eine Wund- und Brandsalbe gewonnen.[9]

 

Positive Beispiele auch in Lateinamerika

 

Ähnliche Berichte gibt es auch aus vielen Gebieten im Süden der Welt, zum Beispiel aus dem Gebiet der Mapuche im Süden Chiles. Traditionell verfügen die Mapuche über große Kenntnisse von Heilpflanzen, aber dieses Wissen droht verloren zu gehen, und außerdem werden immer mehr der ursprüngliche Wälder Südchiles vernichtet. Deshalb wandten sich Mapuche-Frauenorganisationen an die Methodistische Kirche und baten sie um Unterstützung bei einem Heilkräuterprojekt. Jetzt werden die Kenntnisse über die Heilkräuter systematisch zusammengetragen, und man hat begonnen, die Kräuter in Gärten anzubauen. Interessanterweise gibt es in diesem Projekt auch eine „internationale“ Dimension. Mit den Einwanderern sind nämlich auch europäische Heilpflanzen wie Johanniskraut nach Chile gekommen, deren Wirkungen die Mapuche bisher nicht kannten. Im Rahmen eines kulturüberspannenden Erfahrungsaustausches ergänzen sich jetzt die Heilpflanzenkenntnisse von Europäern und Mapuche.[10]

 

Es gibt auch ein positives Beispiel dafür, dass über nationale Grenzen hinweg eine kommerzielle Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Heilpflanzen möglich ist. Seit über 20 Jahren gibt es nordöstlich von Kairo eine große Farm, wo im Rahmen einer ökologischen Landwirtschaft Arzneipflanzen wie Hibiskus und Zitronengras angebaut werden. Der Name der Firma, Sekem, bedeutet übersetzt „lebenspendende Sonnenkraft“, und dieses Unternehmen ist so erfolgreich, dass inzwischen weitere Biohöfe in Ägypten Heilkräuter anbauen, die zentral verarbeitet und dann vor allem nach Deutschland geliefert werden. Hier werden sie zu pflanzlichen Arzneimitteln verarbeitet, während es bisher in der ägyptischen Pharmaindustrie kein Interesse an Naturheilmitteln gab. Deshalb hat Sekem gemeinsam mit einem deutschen Pharmaunternehmen ein Joint Venture gegründet und bietet mit einer Anschubfinanzierung aus Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe von Kräutertees bis zu verschreibungspflichtigen Medikamenten gegen Herzleiden ein breites Spektrum von Präparaten auf der Basis von Heilpflanzen an. Mittlerweile ist dieses Angebot in 8.000 ägyptischen Apotheken vorrätig. Mit wissenschaftlich geprüften und vom ägyptischen Gesundheitsministerium zugelassenen Präparaten ist die Firma inzwischen in der Lage, selbst den internationalen Pharmakonzernen, die im Lande tätig sind, Konkurrenz zu machen.[11]

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. den Newsletter „Christliche Fachkräfte International“, 3/2002, S. 1 sowie den Beitrag auf S. 6-7 der Ausgabe 2/2000 der Zeitschrift „Gesundheit in der Einen Welt“ des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission

[2] Zitiert nach: Brot für die Welt (Hrsg.): Von Gen-Piraten und Patenten, Frankfurt am Main 2000, S. 9ff.; in diesem Buch werden der Prozess und seine Hintergründe ausführlich dargestellt.

[3] Ebenda, S. 7

[4] Vgl. das Interview mit Konda Ku Mbuta in der Zeitschrift Gesundheit in der Einen Welt, 2/2000, S. 5f.

[5] Vgl. Georg Stoll: Ana Bandas heilendes Wissen, in: Misereor aktuell, 3/2001, S. 14f.

[6] Vgl. zum Beispiel Tansania-Information, 7/2001, S. 8

[7] Vgl. Tansania-Information, 7/98, S. 8

[8] Beitrag der tansanischen Zeitung Observer vom 26.11.2000, entnommen aus Tansania-Information, 3/98, S. 8

[9] Vgl. Martina Zwick: „Mutter Natur“ als Apotheke, in: Frauen leben, Aus der Frauenarbeit der Vereinten Evangelische Mission, 1/2001, S. 18f.

[10] Vgl. Solveig Schrickel: Heilkräuter bei den Mapuche, in: Auftrag (Mission 21), 1/2002, S.18f.(in diesem Heft wird auch über Pflanzenheilkunde in Nigeria und Indonesien informiert); vgl. auch den Beitrag von Tanja Rother über Gesundheitspolitik und indigene Alternativen in Chile, in: Lateinamerika Nachrichten, September/Oktober 2002, S. 21ff.

[11] Vgl. den Beitrag Gesundheits-Farm, in: Chancen, 2/2002, S. 20f.